Dienstag, 4. September 2012

GENERIC WILDLIFE

Es mag durch mein Klein-Kleingeblogge der Eindruck entstehen, in Halifax gäbe es nicht viel zu sehen - Elch und Schwarzbär sagten sich hier noch nicht einmal gute Nacht, sondern stürzten sich stattdessen, vor lauter Langeweile, Huf in Pranke von der Macdonald Bridge in den Freitod - und das ist natürlich vollkommener Unsinn.
Wenngleich... vor meinem geistigen Auge sehe ich die beiden da gerade in der Abenddämmerung auf dem Brückengeländer sitzen, Huf in Pranke, die Hinterbeine über dem Wasser baumelnd, die hinter den beiden vorbeirauschenden Autos werden immer langsamer und der Bär sagt zum Elch: "Du, Elch." und der Elch antwortet: "Ja, Bär."

- Bär: "Woher hattest Du eigentlich das Geld für die Brückenmaut?... und WO hattest Du es die ganze Zeit? Wohl kaum in den Hosentaschen... Du trägst ja noch nicht mal Hosen - also..." 
- Elch (genervt): "Ach komm... Bär!" 
- Bär: "Ja, Elch?"
- Elch: "Willst jetzt Du springen, oder willst Du über Klamotten quatschen?"
- Bär: "Es ist ja nicht so, dass es jetzt noch von großer Bedeutung wäre... Kannst Du übrigens bitte mit Deinem Geweih ein bisschen aufpassen, wenn Du zu mir rüberschaust? Du hättest mir eben beinahe ein Auge ausgepiekst... aber..."
- Elch: "...sagte der Bär, der sich nie seine beknatterten Krallen wetzt. Also ERSTENS: Das ist kein Geweih, das nennt man bei Elchen SCHAUFEL..."
- Bär: "Schaufeln!... also Mehrzahl...?"
- Elch: "Noch ein Wort und ich springe ohne Dich!"
- Bär: "Und zweitens?"
- Elch: "Hm?"
- Bär: "Du hast mit ERSTENS, also SCHAUFEL..."
- Elch (zähneknirschend): "Schaufeln"
- Bär: "...ja genau - Schaufeln - angefangen, da erwartet man doch ein 'ZWEITENS'...?"
- Elch: "Zweitens... .... ... Irgendwas ist komisch."
- Bär: "Komisch?"
- Elch: "Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten, dieser Dialog entstammte irgendeinem generischen Witzekatalog für zwei Knalltüten, die zunächst an einander vorbeisabbeln und dann am Ende...hmmm...."
- Bär: "Ja? Na? Am Ende?... was denn, was denn, was denn?"
- Elch: "Vergiss es. Lass uns lieber endlich springen."
- Bär: " Ich bitte Dich. Du kannst nicht erst so ein dialektisches Fass aufmachen und dann einfach springen."
- Elch: "Kann ich also nicht?! Aaaha. Weil?"
- Bär: "Könnten wir das nicht beim Essen besprechen? Ich habe Hunger und der Typ in dem Mauthäuschen sieht ziemlich lecker aus..."
- Elch: "Bär!"
- Bär: "Ja, Elch?"
- Elch: "Ich weiß nicht, wie oft wir das Thema schon hatten... aber jetzt wirklich zum allerletzten Mal: ICH BIN VEGETARIER!"
- Bär: "Ach herrjehmineh - der feine Herr! Kannst Du es nicht wenigstens EINMAL ausprobieren... ich mein' ja bloß... ich fresse doch auch hin und wieder Gras und..."
- Elch: ........(Fallgeräusch)........Platsch!
- Bär: "Elch? Eeehelch?!"

Nochmals: so ist es hier eben nicht. Eigentlich wollte ich ja auch ganz woanders hin, habe mich beim Schreiben aber von dem Bild ein wenig mitreißen lassen... Beim nächsten Mal gibt's wieder etwas mehr Substanz (ohne Gewähr).

Sonntag, 2. September 2012

HAIRY HISTORY & SKYDIVING

Manchmal erklären sich mir gewisse Zusammenhänge auf eigenartig langen Umwegen, an deren Ende immer schon mein Gehirn auf mich wartet, ungeduldig auf die Uhr schaut während es spöttisch eine Augenbraue hebt und Dinge murmelt wie: "Hättest Du mal lieber gleich mich gefragt, dann wärest Du schon vor Stunden hier angekommen."
***
Schon während des Fluges nach Halifax hatte ich unter den Passagieren einige mit karottenroten Haaren bemerkt, dieser Beobachtung aber zunächst keine größere Beachtung geschenkt. Etwas später dann, zu Fuß unterwegs in den Straßen der Stadt, sah ich auch wieder rothaarige-, oder Menschen mit rotblonden/rotbraunen Haaren in einer Häufigkeit, die nicht unbedingt sofort den Verdacht einer Verschwörung oder eines flächendeckenden genetischen Experiments nahelegen, die für einen "normalen" Mitteleuropäer aber durchaus auffällig ist. Die Beamtin der Einwanderungsbehörde am Flughafen war quasi nur der Beginn dieser Beobachtungsreihe. 

Betrachtet man die gesamte Weltbevölkerung, so bewegt sich der Anteil der Rothaarigen bei knapp einem Prozent, was diese Haarfarbe zugleich zur seltensten aller natürlichen Haarfarben macht. In diesem Teil Kanadas jedoch scheinen die genetischen Karten ganz anders gemischt zu sein, was auch nicht weiter zu überraschen vermag, wenn man sich die Besiedlungsgeschichte der Provinz (so sagt man hier anstelle von Bundesland) Nova Scotia einmal anschaut. Es hatte zwar - speziell Halifax betreffend - im 18ten Jahrhundert immer wieder wechselnde Besitz- und Machtansprüche von Briten und Franzosen bzw. Akadiern gegeben, letztlich hat das Imperium aber alles, was nicht Treue auf die britische Krone schwören wollte, gewaltsam aus der Provinz vertrieben. Und weil nicht nur ich ein entsetzlich träger Sack bin, sondern weil es generell eine menschliche Eigenheit ist, es sich dort mit dem Popo gemütlich zu machen, wo er gerade sitzt, stammen auch heute noch rund achtzig Prozent der hier lebenden Menschen von Einwanderern der britischen Inseln ab. Just als ich um die Ecke dieses Gedankenganges biege, wartet hinter eben dieser lässig angelehnt mein Gehirn auf mich und brummelt: "Eicke, Nova Scotia heißt übersetzt übrigens NEUSCHOTTLAND." Gehirne - Du kannst nur schwer mit ihnen leben, willst Du aber leben, kannst Du sie auch nicht in flüssigen Stickstoff schmeißen.
So schnell lasse ich mich natürlich nicht von meinem Gehirn ins Boxhorn jagen und entgegne, dass ich geglaubt hatte, die Sache mit den rothaarigen Schotten sei nur so ein blödes Klischee. 
Nebenbei bemerkt, wer sich darüber wundert, dass ich in Dialog mit meinem Gehirn stehe: Das tun wir alle in der ein oder anderen Form immer wieder. Manchmal mit dem eigenen Gehirn/der inneren Stimme, manchmal unterhalten sich Menschen mit ihren Topfpflanzen, ihrer Katze... in bedenklicheren Fällen mit ihrem unsichtbaren Freund am Wiener Platz in Köln-Mülheim... oder mit dem im Straßengraben stecken gebliebenen Auto oder - wenn wirklich alles zu spät ist - mit dem Straßengraben selbst. Unter dem Strich handelt es sich bei all diesen merkwürdigen Gesprächen (auch wenn der ein oder die andere jetzt protestieren mag) um innere Dialoge.
Um meinen Dialog etwas weniger schizophren wirken zu lassen, sagen wir doch, dass meine innere Stimme - bei dem Einwand, dass ich glaubte, das schottische Rothaarphänomen sei nur Klischee - hier vollkommen zu recht entgegnet, dass das weißgott keine Glaubensfrage sei. Nicht nur klugscheißen, sondern auch noch schnippisch sein. Ich muss bei Zeiten mal schauen, ob ich nicht doch irgendwo einen Eimer flüssigen Stickstoff auftreiben kann. Tatsächlich stellt sich bei kurzer Nachforschung heraus, dass in Gegenden wie dem Norden Schottlands aber auch dem Nordwesten Irlands mit fünfzehn Prozent Bevölkerungsanteil die größte Dichte an Rotschöpfen weltweit existiert und weitere Nachforschungen ergeben, dass große Teile einer Einwanderungswelle nach Nova Scotia um siebzehnhundertirgendwas aus Hochlandschotten und Iren bestand. 
Ich lasse meine - jetzt wie die Cheshirekatze grinsende - innere Stimme wissen, dass sie mir Mal im Mondschein begenen kann und beschließe zum Friseur zu gehen, weil meine Haare, unabhängig von ihrer Farbe, offenbar derart unmöglich aussehen, dass ich von neuschottischen Einwanderungsbehördenbeamtinnen zu Gesprächen gebeten werde. Und das muss ja nicht andauernd sein.

Vor ein paar Tagen schon hatte ich im Scotia Square, einer Mall, u.a. einen kleinen Friseurladen entdeckt, der mir aber irgendwie ein wenig piefig erschien - wie übrigens auch der Rest der Mall, der eine Von-Grund-Auf-Renovierung bestimmt nicht schaden würde (und wenn sogar ich solcherlei Dinge bemerke, ist das schon fast ein Startsignal für die Abrissbirne). Es muss Downtown für mich auch irgendwo einen hippen trendy Haarschneideschuppen geben, weil ich doch selbst so unfassbar hip und trendy bin... Trendy - Sagt man das eigentlich noch? Für die Leserinnen und Leser, die mich nicht besonders gut kennen sei erwähnt, dass ich in meinen Erzählungen teilweise dazu neige, die unleugbaren Fakten mit einem leicht aufgehübschten Anstrich zu versehen. Etwas prosaischer denkende Menschen würden das vermutlich als faustdicke Lügen bezeichnen, aber wie dem auch sei, ihr werdet ganz ohne meine Hilfe herausfinden müssen, an welchen Stellen ich zum Aufhübschpinsel gegriffen habe. Wo war ich doch gleich?... Richtig: hip and trendy like me.
In der Granville Street werde ich schließlich fündig: Thumpers heißt der Laden und dieser Name könnte den in 1:1-Übersetzung denkenden, deutschen Touristen auf eine völlig falsche Fährte führen. "Thumper!" ist ein Ausruf, der ins deutsche übersetzt "Mordsding!" bedeutet, was mich also im Plural (Thumpers) in ein Etablissement mit dem Namen "Mordsdinger" führt. Ich schätze einmal, dass das Potential für etwaige Missverständnisse an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden muss.
Am Empfang begrüßt mich eine junge Frau, die haargenau (soeben die Wortwitzkasse explodiert) so aussieht, wie man sich junge Frauen am Empfang von Haarschneidegeschäften so vorstellt: hübsch und überschminkt oder, je nach Sichtweise, hübsch überschminkt. Am Empfangstresen stehen außer mir noch ein zwei Kunden, und noch einmal drei weitere sitzen einige Meter abseits, in einer gemütlich aussehenden Couchecke - dem Wartebereich. Hier müssen wir noch einmal einen kurzen Schwenk zurück zu den Bezeichnungen Harschneideladen bzw. -schuppen machen, denn alle beide können dem Thumpers in keiner Weise gerecht werden. Wie ich später erst erfahre, verteilen sich im gesamten Haus an die vierzig Arbeitsplätze auf vier Stockwerke und das Personal setzt sich zusammen aus rund zwanzig Stylistinnen und Stylisten plus ein paar Empfangs- und Shampoogirls. Bei der nun folgenden Feststellung (noch immer im Erdgeschoss und am Empfang) schaltet mein Gehirn meine innere Stimme aus mir unerfindlichen Gründen auf bayerischen Dialekt um: Jomei, daherinnen gehts zua wia am Stachus. 
Kunden kommen und gehen, treppauf, treppab wird gesmalltalkt und gescherzt, Beinahe-Wangenküsschen werden ausgetauscht und ich muss unwillkürlich an meinen Stammfriseurladen in Köln denken, bei dem es außer dem Chef (Gioni, Grüße!) noch zwei Stylistinnen und ein Shampoogirl namens Daniel gibt (sorry Daniel, den konnte ich einfach nicht auslassen). Glücklicherweise hat man es bei Thumpers verstanden, den ziemlich großen Betrieb nicht nach Fabrik, sondern wirklich recht heimelig aussehen zu lassen.

Ich erkläre dem Empfangsgirl, Ashley (ich habe keine Ahnung, ob sie so heißt, aber sie sieht wie eine Ashley aus), dass ich keinen Termin habe, dass ich zum ersten Mal bei Thumpers bin usw. usf. Zum üblichen Prozedere für Neukunden bei Thumpers gehört, dass man sich gewissermaßen registrieren lässt. Da nützt es auch nichts, dass ich erkläre aus Deutschland und nur im Urlaub und mehr oder weniger wahlfrei auf der Suche nach einem Friseur zu sein. Ich werde also nach Vor- und Nachnamen gefragt, die ich wegen der für englischsprachige Ohren ungewohnten Phonetik natürlich buchstabieren muss. Schon dadurch zieht sich die ganze Angelegenheit etwas in die Länge und der Rest der werten Kundschaft im Erdgeschoss wird allmählich auf mein Gespräch mit Ashley aufmerksam. Als nächstes möchte sie für die Statistik wissen, wie ich denn ausgerechnet auf das Thumpers gekommen sei. Ohne eine Sekunde zu zögern antworte ich: "Nun, ich bin halt gerade mal in Kanada und dachte mir: Thumpers - da musst Du unbedingt hin". Ich hatte die Hoffnung, sie könnte dies als Wink dafür verstehen, dass ich für ihre Statistik überhaupt keinen sinnvollen Haltepunkt markieren könnte und sie würde deshalb das Prozedere abkürzen. Abkürzungen scheinen jedoch nicht in Frage zu kommen und der rundliche Herr am Tresen neben mir gluckst belustigt in sich hinein. Ashley bemerkt natürlich, dass ich ihre Befragung nicht vollkommen ernst nehme, aber noch lacht sie freundlich. Eine Kollegin eilt ihr zur Hilfe und versucht die gestellte Frage für den ausländischen Blödmann anders zu formulieren: "Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem sie heute zu Thumpers gekommen sind?" 
Ich überhöre geflissentlich die Emphase in der Fragestellung und antworte: "Ja, ich hatte das Gefühl, ich bräuchte einen neuen Haarschnitt". Ashley und Kollegin wechseln einen bedeutungsschwangeren Blick... und ich vermute bloß, Ashley macht ein Computerhäkchen bei "sonstiges". Als nächstes fragt sie mich, ob ich eine Telefonnummer angeben könne, unter der ich üblicherweise erreichbar sei. Ich erwäge kurz alle möglichen Szenarien, nach denen ein eventueller Notfall es notwendig machen könnte, dass ich für einen kanadischen Frisiersalon erreichbar bin - ergebnislos. Jetzt versuche ich freundlich aber aktiv, diesen Unsinn zu beenden: "Nein. Nochmals, ich bin nicht aus der Gegend und werde bestimmt nicht so bald wieder vorbeischauen, also..."
Ashley zuckt um Verzeihung bittend mit den Schultern: "Ich brauche aber eine Telefonnummer, damit wir das Anmeldeformular schließen können." Mir zugewandt schaltet sich erneut die Kollegin ein: "Denken Sie sich einfach irgendeine Nummer aus und gut". Faszinierend: Man braucht echte Kunden in der Statistik, die frei erfundene Angaben machen. Nix da, jetzt spielen wir die Nummer nach den Regeln: "Sie brauchen meine Telefonnummer und daran soll es bitte auch nicht scheitern: +49..." Nach diesen ersten drei Zeichen bricht Gelächter unter den anderen Kunden im Erdgeschoss aus, Ashley läuft unter ihrer Schminke rot an und der rundliche Herr neben mir merkt an, dass ein Anruf unter dieser Nummer kostspielig werden könnte. Ich diktiere brav meine tatsächliche Festnetznummer bis zu Ende und erwähne beiläufig, dass ich zumindest im Augenblick nicht zu Hause zu erreichen bin. Ashley speichert (jetzt nicht mehr lachend) das Anmeldeformular ab und bittet mich, für einige Minuten in der Couchecke Platz zu nehmen, bis die Stylistin namens Jennifer für mich Zeit haben wird.

Jennifer (Bild s. stylists-section d. homepage) ist eine richtig Nette. Das Lächeln ist echt und ihr Haar ist zerzaust, was ich für eine Friseurin ungewöhnlich finde, was sie mir aber als Mensch umso sympatischer erscheinen lässt. Nachdem sie mir im ersten Stockwerk die Haare gewaschen hat, führt sie mich zum Frisieren in den vierten Stock, denn, so erklärt sie mir, die meisten ihrer Kollegen sind zu bequem mit den Kunden bis unters Dach zu laufen (deshalb habe man dort mehr Ruhe) und außerdem müsse sie als Frau in den Vierzigern jede sich bietende Gelegenheit wahrnehmen, ein bisschen zu trainieren. Im Stillen danke ich ihr dafür, dass sie mich als Mann in den Vierzigern an ihrem Trainigsprogramm teilhaben lässt und kann auch, auf der Treppe hinter ihr gehend, in ungefährer Augenhöhe mit ihrem Glutaeus (und ebenfalls nur in Gedanken), bescheinigen, dass ihr Trainingsprogramm augenscheinlich recht erfolgreich verläuft.
Einmal auf dem Frisierstuhl unter dem Dach werden meine Vorgaben für das gewünschte Frisurergebnis abgefragt. Ich mache aber keine, sondern lasse ihr völlig freie Hand. Daraufhin macht Jennifer was alle Haarkünstler bei vergleichbaren Gelegenheiten tun: Sie nimmt meinen Kopf, dreht ihn vor dem Spiegel hin und her, wuschelt ein bisschen hier, zupft ein wenig da, geht dabei eher mit sich selbst redend die notwendigen Arbeitsschritte durch, macht abschließend eine Voilà-Geste und fragt mich, was ich davon halte.
Tja... puuuh... öhm ja (was weiß denn ich?!) mach Du mal schön.
Dass ich aus Deutschland komme / nur auf Urlaub in Halifax bin weiß sie bereits und was sie noch vor den üblichen Fragen - nach Erwerbstätigkeit o.ä. - am meisten interessiert ist, wie zum Kuckuck ich dazu komme im Ausland eine wildfremde Haarschnibblerin aufzusuchen. Für einen Moment verdächtige ich Ashley der lieben Jennifer aufgetragen zu haben, doch noch eine statistisch verwertbare Auskunft über das "Warum" aus mir herauszukitzeln, was sich aber als haltlos erweist. Jennifer ist einfach nur neugierig und kann sich überhaupt nicht vorstellen ähnliches auszuprobieren, denn so ein Friseurbesuch habe ja auch viel mit Vertrauen in den Laden, die Menschen dort und die handwerklichen Fähigkeiten zu tun und plapper, plapper, plapper...  sie ist eben eine echte Volldampfplaudertasche. Ich finde das aber überhaupt nicht schlimm, denn weil sie eine Volldampfplaudertasche ist, muss ich weniger reden.
Grundsätzlich habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten damit, längere Gesprächspausen entstehen zu lassen, ich bemerke jedoch hin und wieder, dass manche Menschen sich in meiner Gegenwart unwohl fühlen, WEIL ich keine Schwierigkeiten damit habe. Sind mir diese Menschen unsympatisch, ist mir das Wurscht, handelt es sich aber um solche, die ich nett finde, versuche ich bisweilen das Gespräch nicht zu lange abreißen zu lassen, was wiederum zu etwas führen kann, das noch unerfreulicher ist als unangenehmes Schweigen, nämlich: gezwungenes Geplauder. Diese Situation wird sich aber mit Jennifer bestimmt nicht einstellen.
Ihre Frage nach dem "wie zum Kuckuck..." ist nicht so einfach zu beantworten, weil ich mir nicht immerzu Gedanken über die Dinge mache, die ich so mache (sofern nicht andere in diese Dinge verwickelt/davon betroffen sind). Ich weiß z.B. immer noch nicht so genau, warum ich ausgerechnet in Halifax Urlaub mache... ich mache es eben einfach. Dementsprechend indifferent fällt meine Antwort aus: "Andere reisen in der Welt herum und klettern auf Berge oder stürzen sich zum Skydiving aus Flugzeugen und ich reise eben in der Welt herum und lasse mir von einer wildfremden Stylistin die Haare schneiden."
Das leuchtet ihr absolut ein. Zwar äußert sie die Vermutung, dass mein Besuch bei ihr nicht ganz so gefährlich ausfallen wird, räumt aber direkt im Anschluss ein, dass sie schon ein rechter Tollpatsch sei und dass wir diesen Besuch erst dann als erfolgreich verbuchen dürfen, wenn hinterher noch meine beiden Augen in ihren Höhlen sitzen. Ein echt gelungener Eisbrecher in Sachen Leute-die-mit-Scheren-hantieren, wie ich finde. 

Nach einer guten Stunde Volldampfplauderei (über Gott und die Welt und allesallesalles, was man in Halifax unbedingt gesehen haben sollte) in die ich nur gelegentlich eine kleine Bemerkung einwerfe - sie macht mir ein Kompliment für mein Englisch, was ungerechtfertigt ist, weil ich kaum etwas gesagt habe - ist meine neue, meine allererste kanadische Frisur fertig!
Poduct of Canada
...und unterscheidet sich im Wesentlichen von der alten dadurch, dass ich gleich 40 Dollar weniger im Geldbeutel haben werde. Das soll auf gar keinen Fall ein Vorwurf sein, denn erstens sieht es zwar nicht großartig verändert, aber wieder ordentlich aus und zweitens hatte ich ihr vollkommen freie Hand gelassen/ihr keinerlei Anweisungen gegeben. Außerdem weiß ich jetzt, dass man keinen dreiwöchigen Aufenthalt in Halifax braucht, um die Stadt kennenzulernen, sondern nur einen Haarschnitt von Jennifer - und das alles (kombiniert mit viel lustiger Unterhaltung) für alberne 40 Dollar.
Ein Dummkopf, der an Beschwerde dabei dächte!

Mittwoch, 29. August 2012

CANADIANS: JUST REASONABLE PEOPLE?

Die liebe und stets aufmerksame @zbrwld hat mich darauf hingewiesen, dass der virtuelle Spaziergang vom Hotel zum Point Pleasant Park in G Street View zwangsweise schon am Cambridge Drive und demnach noch vor dem Betreten des Parks endete. Dumm gelaufen  (23000€ in die Wortwitzkasse), aber einfach und logisch dadurch zu erklären, dass auch für die Aufnahme-Fahrzeuge von Street View keine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, die dortigen Fußwege auf den letzten Metern bis zum Meer zu befahren.
Prince of Wales Dr: noch wenige
Meter bis zum Atlantik
Gut nur, dass wir auf den Street-View-Verein nicht angewiesen sind, denn ich habe selbst auch ein paar Bilder geknipst, die, so glaube ich, einigermaßen schlüssig belegen können, dass der Point Pleasant Park seinen Namen vollkommen zu Recht trägt. Auf der Wiese beim Black Rock Beach (s. gelber Link) angekommen, werde ich für ein kurzes Weilchen von einem Backenhörnchen eskortiert (etwa halb so groß wie die uns vertrauten Eichhörnchen, ansonsten aber ähnlich), das keine drei Meter vor mir durch das Gras hoppelt... stehen bleibt und sich mir zugewandt aufrichtet, wenn ich stehen bleibe... und erst dann wieder weiterhoppelt, wenn ich weiter hoppele weiter gehe. Wer weiß, womöglich bin ich seiner Behausung etwas zu nahe gekommen und es versucht mich mit der altbewährten Fang-mich-doch-Du-Eierloch-Methode von dort wegzulocken, stellt aber alsbald sehr wohl fest, dass ich heute gar keinen Appetit auf Backenhörnchen habe und zieht unvermittelt wieder anderer Wege. 

CAHAL: einer der größten kom-
merziellen Häfen Nordamerikas
Wendet man vom Black Rock Beach aus den Blick nach Norden, schaut man auf den kommerziellen Hafen von Halifax (internationale Bez. CAHAL), mit seinen Kränen und Frachtcontainern, der unmittelbar an den Park angrenzt und mit meterhohem Maschendraht vor
Black Rock Beach
zumindest versehentlichem Eindringen von verirrten Spaziergängern geschützt ist.
Ich interessiere mich jedoch im Augenblick nicht sonderlich für diesen Teil des Hafens und mache mich in entgegengesetzter Richtung, entlang des Sailors Memorial Way - der den Park an seiner Seeseite umrundet - dazu auf, den Park... nun ja, an seiner Seeseite zu umrunden. Der gesamte Park ist im Inneren sehr hügelig und durchgehend bewaldet, wird aber an seiner südlichen Rundung von einem flachen, breiten Grasstreifen gesäumt, der seinerseits gesäumt ist von einem teilweise steil abfallenden, beinahe schwarzen Kieselsteinstrand.
PPP Übersichtsplan
Quelle: www.pointpleasantpark.ca
Der Name "Black Rock Beach" wurzelt aber nicht etwa in diesen dunklen Kieselsteinen, sondern in einem großen schwarzen Felsen, der irgendwo hier - heute lauschiges Naherholungsgebiet - im neunzehnten Jahrhundert noch als Richtstätte für zum Tode verurteilte Kriminelle (z.B. Piraten) diente. Nun gibt es jenen namensgebenden Felsen in dieser Form aber schon lange nicht mehr. Er wurde später, in weniger blutrünstigen Zeiten, zu Schüttgut zertrümmert und man kann immer noch kleine Teile von ihm finden - z.B. an einem der Eingänge des Parks und... tjanun, wer könnte das schon mit absoluter Sicherheit ausschließen, vielleicht stehen meine Füße im Atlantik am Black Rock Beach (s. Foto im vorigen Kapitel) auf den zerkleinerten Resten des Felsens, auf dessen Rücken z.B. Edward Jordan (irischer Rebell und Pirat, 1809) gehenkt wurde. Sorry Eddie, das ist bestimmt nix Persönliches, ich mache hier bloß Urlaub.

Ein paar Schritte weiter entdecke ich etwas, das auf mich wie ein Kriegerdenkmal wirkt, sich aber bei genauer Betrachtung als... nicht das genaue Gegenteil... aber doch irgendwie als Gegenteil entpuppt - nämlich ein NICHT-Kriegerdenkmal. Wenn im Moment auch in anderem Zusammenhang, so streift mich doch in diesem Land zum wiederholten Mal der Gedanke: "Das ist so unglaublich vernünftig, dass es Dich glatt verrückt macht." Mit diesem Ehrenmal wird der kanadischen Marine-Soldatinnen und -Soldaten gedacht, die in Ausübung ihres Dienstes während FRIEDENSzeiten ihr Leben ließen. Warum zum Kreuzdonner ist da nicht schon lange vorher jemand darauf gekommen?!
NICHT-Kriegerdenkmal
Ich weiß es klingt komisch, aber ich meine es vollkommen ernst: Die Damen und Herren von der Marine waren bereit ihre werten Hintern für Land und Leute hinzuhalten und haben verdammtnocheins mit dem Leben dafür bezahlt - wie könnte man ihnen also ein Ehrenmal vorenthalten, nur weil 'blöderweise' zu der Zeit gerade kein Krieg stattfand? Es bleibt dabei: verrückt vernünftig. Und weil wir gerade bei dem Thema sind, plaudern wir doch noch über ein paar weitere Dinge, die die Kanadier in meinen Augen überaus vernünftig erscheinen lassen, selbst wenn man sich an anderer Stelle dann fragt, ob die Menschen hier nicht vielleicht doch nur einen gewaltigen Sprung in der Ahornsirupschüssel haben. Das sind manchmal Kleinigkeiten, wie das an anderer Stelle erwähnte Beispiel des kostenfreien Hotel-Upgrades für Langzeitgäste, manchmal aber auch den Kontinent überspannende Angelegenheiten, wie die Einteilung der Zeitzonen des Landes. Bei zuletzt genanntem Beispiel ist mir der metaphorische Draht aus der metaphorischen Mütze gesprungen... aber das heben wir uns für den guten Schluss auf. Beginnen wir stattdessen mit etwas banalem, wie dem Straßenverkehr bzw. mit Fußgängerüberwegen. Selbst die kleineren Straßen der Stadt sind nach deutschen Maßstäben ziemlich groß, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass der gemeine Nordamerikaner sehr gerne in sehr großen Autos herumkutschiert. Meine Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel z.B. durfte ich in einem schwarzen Lincoln Continental genießen, gegen den sich unsere hellelfenbeinfarbenen E-Klasse-Benz-Taxis ausnehmen, wie Heino gegen Johnny Cash. Was jedoch die Innenausstattung des Fahrzeugs betriftt, kann der Amerikaner getrost einpacken - noch mehr billigstes Plastik wird höchstens beim Bau von McDonald's-Spielplätzen verarbeitet... aber ich schweife etwas zu weit vom Thema ab.
Die Autos sind sehr groß, die Straßen sind sehr breit und man sollte nun doch annehmen, dass man es als Fußgänger, etwa zur Rush Hour, nicht ganz leicht hat, die Straßenseite zu wechseln, was wiederum (so denkt man jedenfalls) die Errichtung einer Vielzahl von Fußgängerampeln und Zebrastreifen sinnvoll erscheinen lässt. Downtown gibt es natürlich auch eine ganze Menge Fußgängerampeln, aber im Stadtviertel Commons (wo u.a. auch meine Unterkunft ist) sind sie nur recht spärlich gesäht. Hie und da gibt es durchaus Fußgängerüberwege, die, das sei nebenbei erwähnt etwas anders aussehen, als wir das gewohnt sind, ABER (und hier kommen wir endlich zurück zu verrückt vernünftig) man braucht diese Fußgängerüberwege eigentlich gar nicht (!), weil (jetzt bidde gut festhalten) die in den dicken Autos fahrenden Menschen ganz einfach anhalten, sobald man als Fußgänger am Straßenrand stehen bleibt und nur zur anderen Straßenseite schaut! Zum ersten Mal bin ich mir dieses pervers rücksichtsvollen Autofahrerverhaltens bewusst geworden, als ich auf der Agricola Street Richtung Norden einen kleinen Plattenladen (auf der gegenüberliegenden Straßenseite), mit dem bemerkenswerten Namen "Obsolete Records" entdeckte.
Botschaft: ambivalent
Bevor ich ein Foto von dem Ladenschild gemacht habe, stand ich ein Weilchen in Gedanken versunken (über den Namen) am Straßenrand, bis ich bemerkte, dass die Autofahrer in beiden Richtungen anhielten, um mich über die Straße gehen zu lassen. Eigentlich wollte ich gar nicht auf die andere Straßenseite, war aber auch nicht unhöflich genug, die wartenden Autos einfach zu ignorieren - also bitteschön, man will die netten Menschen ja auch nicht für nix und wieder nix warten lassen.
Kleiner Einschub: Ich weiß von mindestens einer Leserin, dass sie jetzt bestimmt ein wenig unruhig auf ihrem Schreibtischstuhl hin- und herrutscht und sich fragt, wie jener (reine Vinyl-)Plattenladen mit dem bemerkenswerten Namen wohl von innen aussehen mag... Sorry, ich besitze aber schon lange keinen Schallplattenspieler mehr, was zum Geier soll ich also da drin? Und überhaupt, darum geht es ja auch gerade gar nicht. Einschub Ende.
Dies pervers rücksichtsvolle Autofahrerverhalten kann man hier überall beobachten, es sei denn, man befindet sich ohnehin in unmittelbarer Nähe eines tatsächlichen Fußgängerüberwegs/einer Fußgängerampel.

Ein weiters Beispiel für die etwas andere Handhabung gewisser Dinge ist der Umgang mit Tabakwaren. Schaut man sich im alltäglichen kanadischen Leben ein wenig um, scheinen Tabakwaren schlicht nicht zu existieren. Es gibt keinerlei Werbung für Zigaretten auf Plakaten, in Zeitschriften o.ä. und auch in den jeweiligen Läden, in denen man wirklich Rauchwaren kaufen kann, werden selbige für kaufwillige Menschen unsichtbar aufbewahrt - in abgedeckten Schubkästen hinter dem Bezahltresen. Was dem US-Amerikaner das Pornomagazin ist, ist dem Kanadier der Tabak. Wobei... nach Pornomagazinen habe ich bislang noch gar nicht Ausschau gehalten. Die Nichtraucherkampagne beschränkt sich hierzulande jedoch nicht auf das pure Totschweigen des Produkts in der Öffentlichkeit, sondern man geht noch ein kleines Schrittchen weiter, beim Aufdruck der Glimmstengelpäckchen und ich muss respektvoll anerkennen, da haut das kanadische Gesundheitsministerium schon ganz ordentlich auf den Krebs die Kacke.
Von den Qualen
des Atmens...
Während in Deutschland die Gesundheitswarnung ungefähr ein Drittel einer Packungsseite einnimmt - auf simplen Infotext beschränkt - und den Rest für das jeweilige Firmenlogo frei lässt, verhält es sich in Kanada so, dass für das Firmenlogo maximal gerade noch ein Viertel zur Verfügung steht und der Großteil der Packung mit nicht nur Infotext, sondern auch grauenvollen Bildern bedruckt ist. Weil ich selbstredend in meinem Blog keine Werbung für Zigarettenmarken machen
... bis hin zu wahren
Zombievisionen
möchte, habe ich die jeweiligen Logos auf den Beispielbildern ein wenig unkenntlich gemacht.
Und weil ich selbst immer noch ein Gelegenheitsraucher bin, maße ich mir auch kein Urteil darüber an, ob die hiesige Herangehensweise des  Gesundheitsministeriums an die süchtige Lungenverkleisterung nun vernünftig ist oder nicht. Das mag ein jeder von euch selbst beurteilen.

Nicht-Kriegerdenkmäler, Hotelpolitik, Straßenverkehr und Antiraucherkampagne sind nur einige wenige der Kleinigkeiten, die mir in Sachen Andersartigkeit aufgefallen sind und eigentlich könnte ich Wochen, Monate, Jahre damit verbringen, nur über eben diese Kleinigkeiten zu schreiben (naja guuut, "Jahre" ist etwas übertrieben... aber ihr wisst schon, wie ich das meine) und das richtig dicke Ding - die kanadischen Zeitzonen - haben wir ja noch nicht einmal schüchtern berührt. Nun, wie es im Augenblick ausschaut, wird das auch noch ein wenig warten müssen, denn ich bin schon um den gesamten Point Pleasant Park herum gelaufen und habe ein bisschen Hunger bekommen. Auf dem Rückweg werde ich einen kurzen Umweg über die Waterfront in Downtown nehmen, die mein Reiseführer etwas säuerlich als "stark touristisch geprägt" beschrieben hat. Letztlich bin ich aber nur ein dummer Tourist, deshalb gehöre ich auch dahin UND da gibt es bestimmt nette Restaurants. Mein Weg zur Waterfront führt mich durch die Young Avenue, wo die reichen Leute von Halifax leben. Was die wohl so in Sachen Architektur auf dem Kasten haben... ich werde es gleich wissen.
Kleiner Teaser: Im nächsten Kapitel wird es um Extremsportarten und um Haare gehen und wenn ich mich nicht wieder allzu sehr verplaudere, natürlich um die Sache mit den Zeitzonen... die wahrscheinlich keine Sau außer mir interessiert.

ps. bislang noch keine Blasen an den Füßen

Samstag, 25. August 2012

WALTONS MOUNTAIN & EAST BERLIN 1986

alberner Hut


(fr. n. W. Busch) Vier Tage war der Onkel krank, jetzt stiehlt er wieder Reime, gottseidank!
***
Die ersten drei Tage meines Urlaubs waren, wie man lesen konnte, voll ausgefüllt mit schnodderigen Taschentüchern (genauer betrachtet waren es natürlich die Taschentücher, die voll ausgefüllt waren mit Schnodder, aber soviel dichterische Freiheit muss einfach drin sein) und an Tag Nummer vier habe ich mich in vernünftiger Geduld geübt und also, obwohl die Körpertemperatur bereits auf normal gesunken war, dem Immunsystem noch etwas mehr Zeit verschafft, Klarschiff auf dem pulmonalen Schlachtfeld zu machen. Oder etwas weniger auf den dramatischen Putz gehauen: Ich blieb noch einen weiteren Tag im Hotel, schlief viel, aß relativ viel Obst und bewegte mich nicht weiter, als bis zu "meinem" Balkon, um zur Abwechslung ganz rentnermäßig
Himmel über Halifax (mit Farb-
werten, zum selber nachbasteln)
ein bisschen in der Sonne zu sitzen und dröselig in den blitzeblauen Himmel zu blinzeln. Und auch wenn die ganz und gar unwillkommene Kurzerkrankung recht heftig und unanagenehm verlief, hatte sie doch den positiven Nebeneffekt, mir vollständig das innerlich  immer noch eingestellte (Arbeits-)Tempo durch sämtliche Schweißdrüsen auszutreiben.
Der gestrenge Papa Biologie hatte ein Machtwort gesprochen: "Sooo, der kleine Eicke steigt jetzt mal kurz aber kräftig auf die Bremse, nimmt ganz schnell den Kopf aus'm Stresseimer und putzt sich die Urlaubsbrille sauber - also: Hausarrest! Vier Tage sollten reichen." Obwohl sich der von Papa Biologie angestrebte Effekt vermutlich auch ohne 'Hausarrest' in diesen vier Tagen eingestellt hätte, gibt der Erfolg der Aktion ihm doch absolut Recht. Wenn man von meiner noch leicht nach Nebenhöhlen-Verschmodderung klingenden Stimme und von gelegentlichem Makrophagenschrott-Abhusten einmal absieht, geht es mir richtig gut. Leider fällt mir nichts besseres als nur ein einziges kleines Wort ein, das den derzeitigen Geisteszustand wenigstens ein bisschen näher umschreibt: Balance. Vielleicht könnte man dies Wort noch um das neudeutsche Adjektiv 'entschleunigt' erweitern... Nachdem ich aber Verfechter der Ansicht bin, dass die einfachsten Erklärungen in der Mehrzahl der Fälle auch die besten sind, belassen wir es doch einfach bei Balance.

Mit meiner neu erschwitzten Balance mache ich mich heute also zum ersten Mal auf, das Städtchen Halifax ein wenig näher unter die Lupe zu nehmen. Das mache ich selbstredend (wie immer) zu Fuß und es werden jetzt noch Wetten angenommen, ob ich mir schon wieder Blasen dabei laufen werde, oder nicht. 

Am Rande dessen sei erwähnt: Ich weiß, dass ich das ein odere andere Mal eklige Fußgeschichten darüber erzählt habe, wie ich Blut in meinen Schuhen bei etwas ausgedehnteren Spaziergängen-, bei der ein oder anderen Reise gesammelt habe und natürlich ist mir auch bewusst, dass ich zwar für einen lustigen Märchenonkel, aber zu guter Letzt doch eben nur für einen Märchenonkel gehalten werde. Das geht natürlich auch vollkommen in Ordnung so. Nun werde ich an dieser Stelle (im Blog) kein Bild von der Innenansicht meiner Reiseschuhe veröffentlichen, aber wer sich nicht davor fürchtet die verkrustete Wahrheit über den blutigen Schuhmythos höchstselbst in Augenschein zu nehmen, ist hiermit herzlich dazu eingeladen, den gelben Link anzuklicken (und: oh ja, es IST ziemlich eklig) RUCKETIKU

Als erstes steht heute Point Pleasant Park auf dem Plan, denn ich bin immer noch nicht am Meer gewesen (bzw. habe meine Füße in selbiges getaucht) und ich reise ja auch nicht nur zum Spaß und gänzlich hirnlos in der Gegend herum - Meer muss sein! Wer gerne mitspazieren möchte, kann das wie gewohnt mit dem Finger auf der Karte tun, wenngleich ich nicht, wie im letzten Jahr, selbst eine Karte zusammenbasteln und mit bunten Linien versehen werde (zumindest nicht für diesen ersten Spaziergang), sondern nur den STARTPUNKT (Hotel) verlinke. Von da an seid ihr (wie ich auch, weil Stadtpläne für Weicheier sind) auf euch selbst gestellt. Allzu kompliziert ist es aber nicht: Bis zum Atlantik sind es rund dreieinhalb Kilometer - raus aus dem Hotel, nach links in die West Street (südwest), dann wieder nach links in die Robie Street (Richtung südost), der wir stur geradeaus bis zum für jedermann bespielbaren Baseballfeld Grosebrook Field folgen, um dort wieder nach links in die Inglis Street- und nach etwa 400 Metern auf der Inglis nach rechts in die Tower Road einzubiegen. Der Tower Road folgen wir nun für rund einen Kilometer in südöstlicher Richtung und sind dann schon am Point Pleasant Drive angekommen, den wir überqueren. Hier beginnt der Point Pleasant Park und die Tower Road geht beinahe nahtlos in den Cambridge Drive über (auf dem driving  gar nicht gestattet ist, weil Fußweg).

Und weil im echten Leben auch nichts so schnell von statten geht wie in einer kurzen Wegbeschreibung, fliegen wir natürlich nicht einfach so über alles hinweg, sondern tun wie Papa Biologie uns geheißen hat und genießen den kleinen Gang von hier nach dort, lassen Augen und Gedanken schweifen, während die Spazier-Beinchen ihren Job wie ganz von alleine machen. Die Sonne lacht, es weht eine leichte Brise von Osten und verweht dankenstwerterweise den Gestank der mobilen Teerkocher auf der Robie Street, die an einigen Stellen ausgebessert wird. Kleiner Tipp für die Noobs: In Google Maps (der Startpunkt-Link weiter oben) kann man das kleine orangene Männchen unterhalb der Windrose z.B. auf den Startpunkt ziehen und mit ein paar Mausklicks den Spaziergang in virtueller Nähe durch die Straßen von Halifax nachvollziehen. So kann man auch erahnen, wie hügelig das Städtchen in Wirklichkeit ist und während wir miteinander gehen, erzähle ich davon, was ich trotz (oder vielleicht sogar wegen?) meines Schniefs von der Stadt bisher alles wahrgenommen habe:

Halifax ist komisch.

Soviel zur hiesigen Wahrnehmung, damit gebe ich ab nach Ontario....

Nee, Halifax ist wirklich
Waltons Mountain
ausgesprochen eigenartig, was ich im Augenblick nur an meiner handwerklichen Lieblingsdisziplin - der ARCHITEKTUR (hüstel) - festmache. Nun darf man mich an dieser Stelle sehr gerne daran erinnern, dass ich
Downtown Halifax 2012,
oder Alexanderplatz 1986?
erwiesenermaßen von Architektur keinen blassen Schimmer habe, im Fall Halifax tröste ich mich jedoch damit, dass hier offenkundig auch sonst keiner Ahnung davon hat. Weil ich des Öfteren schon diverse Späßchen über die Damen und Herren ArchitektInnen gemacht habe,
Halifax Armoury (1899)
geschändet mit
Kunststoff-Fallrohren
will ich ein wenig Wiedergutmachung leisten, indem ich offen zugebe, dass sogar Ignoranten wie ich gut erkennen können, was man an diesem Handwerk hat, wenn man durch die Straßen einer Stadt spaziert, die gewissermaßen ihrerseits die Archtiektur verhöhnt, mit einem wilden Durcheinander von Noch-Nicht-Richtig-Alt und Leider-Nicht-Mehr-Ganz-Neu, oder drastischer: einem heillosen Legopanoptikum, dessen Bausteine zusammengewürfelt sind aus den Stecksätzen "Waltons Mountain" und "Ostberlin 1986", stellenweise durchsetzt von "Kriegsromantik der Gründerjahre (mit Spachtelmasse und Plastikrohren) ".

Fangen wir doch direkt mit dem
Fieses altes Haus,
West St.
fiesen alten Haus auf der West St. an, das mich anfänglich unter seinen 2/3-gesenkten "Lidern" durch mein Zimmerfenster zu beobachten schien. Wenn es da nicht spukt, dann spukt's nirgends. Am Tag meiner Ankunft bin ich (gedanklich noch nicht in einem recht gut einsehbaren Hotelzimmer angekommen) nach dem Duschen splitternackt in eben meinem Hotelzimmer herumgelaufen und habe die olle Gentleman Sausage unbefangen und unbedacht am Fenster vorbeibaumeln lassen - seither schaut das fiese alte Haus lieber nicht mehr hier rüber.
Die Ein- oder Mehrfamilienhäuser der normalverdienenden Halifaxians sehen sich (mit kleinen Varianten) ziemlich ähnlich. So gut wie jedes der Häuschen hat einen kleinen Treppenaufgang (und sei es, dass er nur aus einer einzigen Stufe besteht), viele haben einen Erker und sie sind alle mit irgendeiner Art Schindeln verkleidet - Holz, Blech oder Kunststoff. Trotz aller Ähnlichkeit wahren sie ihre Individualität durch die vielfarbigen Anstriche, was den Wohnvierteln immerhin ein hübsch buntes Aussehen verleiht. Manchmal fragt man sich aber, ob es sich bei der Anordnung der ein oder anderen "Serie" um eine Art Bauherren-Bilderrätsel,
Bilderrätsel oder seltsamer Humor?
oder Bauherren-Humor, á la "kommen vier Häuser in eine Bar..." handelt. Wie auch immer, Wohnsiedlungen in Deutschland sehen bei Weitem langweiliger/trister aus - es ist alles nur ein bisschen ungewohnt.
Dass die Bilder alle stellenweise leicht "verschmiert" aussehen liegt nicht etwa daran, dass ich versucht habe, den derzeit unter Pixelnerds total angesagten Tilt-n-Shift-Effekt (in grauenhaft schlecht) zu generieren, sondern daran, dass das "Objektiv" von meinem Bilderknipser neuerdings  hie und da verkratzt ist (das Ungemach nimmt einfach kein Ende).
Cogswell St:
Originalkulisse aus
'Rauchende Colts'?
Zurück zu den komischen Häusern: Da gibt es welche, z.B. in der Cogswell Street, die ich irgendwoher zu kennen glaube... und doch wieder nicht... dieses blöde Deja-vu-Gefühl.

Mittlerweile sind wir ganz nebenher auf unserem Spaziergang bei der Inglis Street angekommen, in die ich eigentlich nach links abbiegen wollte, aber noch etwas weiter geradeaus findet sich wie auf Zuruf ein nicht nur spaßiges Häuschen, sondern wirklich eins aus dem krassen Legopanoptikum: Saint Mary's University.
St. Mary's University
Die Institution feiert dieses Jahr den 210ten Jahrestag ihres Bestehens und es scheint so, als wollte der verantwortliche Architekt dem neuen Universitätskomplex ein altehrwürdiges Aussehen verleihen. Leider gibt das Foto die gewonnene Einschätzung nicht besonders gut wieder, aber auf mich macht das ganze eher den Eindruck von "stets bemüht" und den damit einhergehenden Minderwertigkeitskomplexen, denn das Bauwerk wurde nicht 1909 vollendet und fortan wie irre gepflegt, sondern es wurde 2009 erst fertiggestellt und ist in meinen Augen ein purer Anachromismus, der etwas repräsentiert, das überhaupt nicht in mein (eingestanden, extrem lückenhaftes) Kanadabild passt: dicke Mauern, die dabei auch noch furchtbar steril aussehen - Thema verfehlt, 6, setzen.
St. Mary's Basilica
(1899)

Es gibt noch weitere Beispiele für das "stets bemüht" altehrwürdige Erscheinungsbild, etwas weiter im Stadtzentrum, nämlich zum einen die katholische Saint Mary's Basilika (päpstlich zu einer solchen geweiht) an der Ecke Barrington St./Spring Garden Rd und zum anderen Saint Matthew's (United Church of Canada), spaßigerweise diagonal gegenüber, an der selben Kreuzung - Konkurrenz belebt das Geschäft, so sagt man.
Man darf natürlich nicht außer acht lassen, welche Zielgruppe(n) die Bauherren dieser
St. Matthews
(rebuilt after 1857)
Werke im Sinn hatten, daher sollte man hier vielleicht nicht von "Thema verfehlt" sprechen. Letztlich werden sich aber auch die religiösen/spirituellen Marketingabteilungen aller nur denkbaren Richtungen nicht auf dem altehrwürdigen Kissen (oder dem Anschein davon) ausruhen können - das dürfte wohl feststehen...
Dä!... Mal wieder verplaudert. Ich habe mich derart an der Architekturkiste festgebissen, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie wir inzwischen den Point Pleasant Drive überquert und den Cambrige Drive (bereits im Park) hinter uns gelassen haben. Da vorne sehe ich schon das Meer....
Sorry, dass sich die 'entschleunigten' Gedanken heute um ausschließlich unbelebte Dinge gedreht haben, aber zu nicht unwesentlichen Teilen besteht eine Stadt natürlich aus genau solchen Dingen.

Ich brauche jetzt erst einmal ein kleine Abkühlung und beim nächsten Mal werden wir uns etwas mehr mit den Menschen in Halifax befassen UND ich werde mir eine Tube Sonnencreme kaufen - für meine Unterarme gerade nur einen Tag zu spät.
Aaaah, Nordatlantik... Fühlt sich an wie... wie Wasser!











Dienstag, 21. August 2012

ATTITUDE (II)

Zeeland (NL) - kurz vor dem Kanal
Das Messer macht also ein bisschen Urlaub von mir und ich begebe mich zum Gate B48 im Transitbereich, wo schon in einer 3/4-Stunde das Boarding beginnen soll erstaunlich früh. So einfach ist es natürlich nicht. Es gibt Schwierigkeiten mit dem Cleaning, Dispatching oder Was-Weiß-Ich-ing und also verzögern sich die div. Prozeduren bis zum Abheben der Maschine (lt. Durchsage 10-15 Minuten, was natürlich gelogen ist). Wäre ich tatsächlich drei Stunden vor dem Boarding zum Check In erschienen, würde ich jetzt wohl ein wenig ungeduldig auf der Armlehne meines Warteraum-Sitzes herumtrommen, so wie es jedoch ist, ist es nur ein wenig zäh genau wie davon zu berichten/darüber zu lesen. Ich würde auch viel lieber einen riesigen Sprung machen und von den unheimlich aufregenden Sachen in Halifax berichten, die liegen aber vorerst auf Eis, weil ich sozusagen gerade auf Eis liege. Nein, ich bin nicht im Knast gelandet... ich komme aber am (bislang vorläufigen) Ende der Pechsträhne erst dazu.

Der Flug ist für mich sehr komfortabel, weil der einzige Sitz neben dem meinen (am Fenster) unbesetzt bleibt und ich mich also wunderbar ausbreiten kann. Essen und Getränke auf dem Tischchen links, Nerdbook auf dem Tischchen vor mir (wie zu Hause, nur in Puppenstubengröße)
Naa, Dutziwutzi, was willst Du denn
mal werden, wenn Du groß bist?
und ich muss auch nicht jedesmal jemanden von seinem Platz aufscheuchen, wenn ich zur Toilette will. Ich wünschte, diesen Luxus hätte ich schon bei meiner Australienreise gehabt. Eigentlich hatte ich ja vor, während des Fluges von meinem Vancouver-Geburtstag zu schreiben, da ich aber gestern Nacht einige technische Probleme mit der Blog-Provider-Software hatte, war der komplette erste Beitrag (Tokio), den ich schon Tage vorher fix und fertig hatte, spurlos verschwunden. Solcherlei Unfälle stellen meine innere Balance auf eine weit härtere Probe, als albernes Wasser in Form von Regen. Da es nun noch nicht allzu lange her ist, dass ich die Arbeit daran beendet hatte, kann ich mich noch gut an den verlustig gegangenen Beitrag erinnern und nutze die Flugzeit, "Tokio" Wort für Wort aus meinem Gedächtnis in das Nerdbook zu tippen und verzichte auf Vancouver-Nacherzählungen, weil das (sorry) einfach zu viel des Guten für mein übernächtigtes Gehirn wäre.
In Halifax angekommen muss ich irgendwie, kaum dass ich den Boden berührt habe, unbemerkt irgendetwas falsch machen, denn nach der oberflächlichen Passkontrolle werde ich (ansonsten nur noch eine weitere Mitreisende) aus über 250 Fluggästen herausgepickt und zum Office der Einwanderungsbehörde gebeten, um nähere Angaben über mich, den Grund meines Aufenthaltes bzw. meine Absichten währenddessen, meinen Beruf und so weiter zu machen. Ich frage mich ernsthaft, womit ich mich wohl verdächtig gemacht haben könnte. Ja, ich habe bei der Passkontrolle geschwitzt wie ein Bekloppter, aber wir haben auch 25°C und eine Luftfeuchtigkeit von über 90% verdächtig wäre es doch eher, wenn ich NICHT schwitzte. Die rotgelockte, sommersprossige Beamtin ist keineswegs unfreundlich oder autoritär, aber ihrer vollkommenen äußerlichen Ruhe und undurchdringlich entspannten Miene zum Trotz glühen da einige tausend Watt braunsche Röhren in ihren hellblauen Augen und ich wette, dass, wenn man belichtbares Material hinter meinen Kopf halten würde, ein gestochen scharfes Abbild meines Schädelknochens dabei herauskäme.
Nachdem die (empfunden) halbstündige Befragung ergebnislos abgeschlossen ist, erkundige ich mich höflich, ob ich mich irgendwie verdächtig benommen hätte, oder weshalb ich zum Office gebeten wurde. Ihr Gesicht bleibt unverändert, entspannt, undurchdringlich: "Niemand verdächtig sie, Sir. Es werden lediglich stichprobenartig Menschen zum Zweck demographischer Erhebungen ausgewählt und befragt. Diesmal hat es Sie getroffen, genau wie die junge Dame hinter Ihnen, die ebenfalls keine Verdächtige ist". Erzähls Deiner Omma.

Nachdem ich mein Gepäck aufgenommen habe, verlasse ich den Terminal in Richtung Taxistand. Ich setzte kurz den Seesack ab, verheddere mich mit einer der Schulterriemenschnallen im Kabel meines iPod-Kopfhörers, das daraufhin sofort abreißt. Im englischsprachigen Raum sagt man "when it rains it pours" anstelle von "ein Unglück kommt selten allein" - um den Regen am Rande einmal wieder ins Spiel zu bringen. Auch das kickt mich nicht so schnell aus der Bahn, denn als echter Phonoholiker habe ich natürlich einen Ersatzkopfhörer im Bordcase.
'Murphy'? Kann mich mal.

Mein Hotel (< für die noobs: Das Gelbe ist ein Link) liegt im Stadtviertel Commons und ist ein sog. Inn. Was läge da also näher, als es auf den Namen Commons Inn zu taufen muss sich wohl auch der Besitzer gedacht haben. Ich bekomme eins der Zimmer für Langzeitgäste, bzw., wie auch schon letztes Jahr in Vancouver, unaufgefordert ein Upgrade ohne Zusatzkosten. Ich finde diese Geschäftspolitik ungewöhnlich freundlich und beinahe schon verrückt vernünftig. Wenn Du in Deutschland die kleinste Zimmerkategorie per Internet buchst, ohne persönlich zu verhandeln, bekommst Du das kleinste Zimmer im Haus Punkt. Da spielt es keine Rolle, ob man nur eine oder einhundert Nächte bleibt, gebucht ist gebucht.

Alles MEINS!
Mein Zimmer liegt unmittelbar neben einem Balkon im zweiten Stock, der natürlich nicht nur für mich, sondern für alle Gäste zugänglich ist. Ich betrachte ihn aber nur zu gerne als "meinen" Balkon, auf dem selbstredend alle immer herzlich willkommen sind. Das Zimmer selbst ist, für meinen vergleichsweise kleinen Erfahrungsschatz, vergleichsweise luxuriös  geschätzte 15m² plus 3m² Badezimmer – Doppelbett, Kleiderkommode, ein auf alt getrimmter Polsterstuhl mit Beistelltischchen (leider nicht zum Schreiben geeignet), Kühlschrank, Mikrowelle, Klimaanlage und einen großer Flatscreen-Fernseher. Wehrmutstropfen: Obwohl nur im 2OG, ist es doch schon unter dem mit schwarzer Dachpappe gedeckten Dach gelegen und heizt sich beim kleinsten Sonnenstrahl innerhalb weniger Minuten derart auf, dass man es ohne Klimaanlage nicht lange darin aushalten könnte. Die Klimaanlage wiederum macht in etwa so viel Lärm wie ein Rasenmäher... aber was solls, ich bin nicht nach Halifax gekommen, um mich möglichst lange im Hotel aufzuhalten.
Tatsächlich aber mache ich am Tag nach meiner Ankunft nicht allzu viel anderes. Wie üblich am ersten richtigen Urlaubstag schlafe ich fast bis in den Mittag hinein, und mache mich dann auf den Weg, diejenigen Kleinigkeiten zu besorgen, die ich ungern über Kontinente hinweg mit mir schleppe, weil sie überall in etwa das selbe kosten und genau das selbe können: Seife, Shampoo usw. Außerdem lernt man so auch immer gleich die Gegend wenigstens ein bisschen kennen. Bei diesem kurzen Gang glaube ich noch, dass mir womöglich der Jetlag in den Knochen steckt, was sich später jedoch als Fehldiagnose herausstellen soll. Wieder im Hotel angekommen, bestücke ich den Kühlschrank mit einem unterwegs erstandenen, vakuumverschweißten Sandwich, einer großen Flasche Wasser, einer Tüte Orangensaft (kanadisches Bier hatte ich gestern Abend schon besorgt) und mache nun endlich ENDLICH wieder einmal das, wozu ich seit drei Wochen überhaupt nicht mehr gekommen bin: NICHTS. Absolut reines, süßes, geruchsneutrales g-a-r n-i-x, nur unterbrochen von gelegentlichem Fernsehen und Dabei-Wegpennen. Ich liebe liebe liebe das. Man könnte nun nicht zu völlig unrecht anmerken, dass Nix-Tun auch unheimlich gut in Oer-Erkenschwick, oder meinetwegen in einem Erdloch in Afghanistan funktioniert. Dazu kann ich nur sagen: Bidde, fahrt ihr gerne dorthin, ich tue eben lieber in Halifax nix.

Gegen Abend bekomme ich ein wenig Appetit und nehme das Sandwich in Augenschein: So eine Art dickeres, längliches Hotdog-Brötchen mit Pepperoni-Salami und einer dem Aussehen nach dampfgeplätteten Minifrikadelle als Füllung. Ob das vielleicht besser schmeckt, wenn man es vorher in der Mikrowelle erhitzt? Klare Antwort: Nein. Ich habe das Experiment abgebrochen, bevor dem durch die Mikrowellenbestrahlung neu entstandenen Gehirn, das kurz zuvor noch wie ein  normales Hotdog-Brötchen aussah, am Ende auch noch Arme und Beine wachsen.
Bun-Brain
Tjaja, so entstehen in Comics immer die Superbösewichte erst geht alles ganz prima mit dufte Strahlung los und am Ende weint dann wieder einer. Nee, mit mir nicht! Dem größenwahnsinnigen Unhold wird sofort die schützende Plastikhülle zerstört und schon ist er schutzlos der todbringenden Atmosphäre unseres Planeten ausgesetzt zackbums, kurzer Prozess, Schluss mit Bun-Brain-Beams, würdige Beisetzung des Beinahe-Bösewichts im Badezimmerabfall.
Wie es aussieht, werde ich wohl zum Essen ausgehen müssen.
In einem Flyer, den ich von Rezeptionist Dominic bekommen habe ist u.a. der Weg zu einem Resaurant namens Jane's beschrieben, das nur einen Steinwurf entfernt (Ecke West/Robie (s. Hotel-Link)) liegt und, so sagt mir der Flyer, a little upscale, also ein wenig vornehmer ist. Um mich nun auch ein wenig upzuscalen, beschließe ich meinen Bart zu stutzen und die Wangen zu rasieren - habe ich auch in den letzten drei Wochen nicht gemacht. Der elektrische Barttrimmer hat während des Fluges im Seesack mir-nichts-dir-nichts beschlossen, mir ein neues Styling zu verpassen und den auf vier Millimeter voreingestellten Aufsatz zurückgestellt auf nunmehr nur noch einen Millimeter. Erst nachdem die erste Bahn durch das Gesichtsgestrüpp schon gezogen ist, erkenne ich die Absichten des Barttrimmers, sodass sich weitere Diskussionen mit ihm erübrigen und ich wohl oder übel seinem Plan bis zum Ende folge. Nach der Barttrimmung folgt die Rasur, bei der ich mich mehrfach in der Nähe der Kehle verletze - ich bin wohl etwas aus der Übung - und natürlich noch die Dusche, nach der ich feststelle, dass ich vergessen habe eine Haarbürste einzupacken.
Haar hoch, Bart runter
Mich über meine eigene Dummheit zu belachen klappt nicht immer, dieses Mal aber ganz ausgezeichnet.

Kurz bevor ich zu Jane's aufbreche, setzt ganz leichter Regen ein. Ha, Wetter! Ich setze mein albernes, australien- und kanadaerprobtes Buckethütchen auf, sodass meine ebenfalls alberne Frisur auf jeden Fall unbeschadet in dem etwas vornehmeren Restaurant ankommen wird. Auf der Hälfte der etwa 250 Meter Weg zum Restaurant dreht irgendwer, irgendwo am großen Wasserhahn und es pladdern die schönsten dicken Tropfen so dicht vom Himmel, dass man keine 20 Meter weit sehen kann. Wie schon zuvor erläutert, ich schere mich nicht um "Das Wetter". Innerhalb weniger Sekunden sind meine Klamotten bis auf die Haut durchgeweicht, während ich in ganz normalem Tempo weiter in Richtung Restaurant schlendere. Ich strecke kurz die Hand aus und bemerke spöttelnd: "Hm, die Luftfeuchtigkeit scheint etwas angezogen zu haben", in das prasselnde H2O-Inferno.

Was mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war, war dass der vermeintliche Jetlag nur eine als Jetlag getarnte fette Grippe ist, die irgendein Pupsgesicht mit ins Flugzeug gebracht haben muss. Hätte ich es geahnt, wäre ich wahrscheinlich nicht mit klatschnassen Klamotten essen gegangen (upscale war es übrigens nicht wirklich). Die kleine gemeine Grippe-Pointe verstehe ich erst am kommenden Morgen, wieder unterwegs um weitere Kleinigkeiten zu besorgen, aber auch um zum Point Pleasant und zum Meer zu spazieren. Von Anfang an ist da dieses signifikante Kratzen im Hals, zu dem sich später noch Schnoddernase, Schweißausbrüche und Gelenkschmerzen gesellen. Ich beschließe die jetzt im Geist korrigierte Diagnose ein Weilchen zu ignorieren und laufe im Energiespargang immer noch ein Stückchen und noch ein Stückchen... und beim Atlantic Drive, also fast am Ziel des Spaziergangs angekommen, wird mir so hundeelend, dass ich umgehend zu einer der Hauptverkehrsadern zurückkehre, um mir ein Taxi heranzuwinken.

Seither sieht mein Halifax so aus:
Schwitzen, duschen, Klamotten wechseln, schlafen, zwichendurch rotzen, rotzen, rotzen... und das Ganze noch einmal von vorne. Aber hey, solange ich noch lustige Geschichten darüber schreiben kann... 'ß-]

Ihr versteht jetzt hoffentlich, warum ich die "Busfahrt zum Supermarkt"-Nummer durchziehen musste, oder?

Montag, 20. August 2012

ATTITUDE ("drama baby, drama"- not)

Wie wir eigentlich alle wissen, nimmt die eigene innere Einstellung (ob positiv oder negativ) nur wenig bis gar keinen Einfluss auf die äußeren Umstände andere würden vielleicht 'morphogenetisches Feld' dazu sagen oder noch andere 'Die Macht' usw. usf. mit denen man sich bisweilen auseinanderzusetzen hat, sondern man nimmt besten- oder schlimmstenfalls Einfluss auf die Menschen, mit denen man sich mittelbar befasst, oder aber letztlich schlicht und einzig auf die eigene innere Einstellung Kharma... Samsara... shit happens. Trivial.
Das Wetter ist ein recht gutes Beispiel für so einen äußeren Umstand, mit dem nicht wenige Menschen des öfteren hadern und sich so das Leben vollkommen sinnloserweise vermiesepetern. Und ich meine damit nicht etwa die Unglücklichen, denen vielleicht gerade das Wetterphänomen Wirbelsturm ihr vormals kuscheliges Heim zu einem hunderte Meter breiten Trümmerkorridor zermalmt hat, sondern jene, die schon bei einem verregneten Sommer einen hunderte Meter breiten Flunsch im Gesicht tragen. "Das Wetter" (als Bezeichnung für derart viele Prozesse die sich planetenweit in so vielfältigen Weisen parallel ereignen schon hirnrissig genug) schert sich einen Kehricht (einen feuchten oder trockenen kommt ganz darauf an...) um unsere inneren Einstellungen, warum sollte ich mich im Gegenzug also viel mehr um "Das Wetter" scheren?
Zugegeben, ich bin was die innere Einstellung angeht sicherlich kein fortwährend leuchtendes Vorbild (und häufig leider sogar das exakte Gegenteil dessen), jedoch bin ich mir dieser Tatsache absolut bewusst und tue deshalb wirklich mein Bestes, um nicht von minderschweren Befindlichkeiten in ein Miesepeterloch gesogen zu werden. Ich habe das unbestimmte Gefühl, in ganz kleinen Schritten und Jahr für Jahr immer besser in dieser Angelegenheit zu werden, kann aber doch wenigstens mit Bestimmtheit behaupten, dass angesprochene Regenproblematik mir schon seit geraumer Zeit, mit oder ohne Donnergetöse, unbeachtet am Hinterausgang vorbeirauscht. Das ist doch immerhin schon ein ganzer Aufreger weniger auf der hunderte Meter breiten (je nach Sichtweise: langen) Liste...

***

Die Reise beginnt nicht wie eigentlich geplant nämlich damit, dass ich die U-Bahn zum DB-Bahnhof verpasse. Das ist nicht ganz so schlimm, weil ich mir im Voraus einen etwas großzügigeren Zeitrahmen für den innerstädtischen Transport zurechtgelegt hatte, nicht zuletzt um mich am Bahnhof mit einem Getränk für die Zugfahrt zum Flughafen und etwas Lesestoff einzudecken. Dadurch, dass mir die eigentlich angepeilte U-Bahn aber soeben vor der Nase weggefahren ist, habe ich jetzt nicht mehr 24, sondern nur noch neun Minuten Zeit, um vom U-Bahnsteig zum ICE-Steig zu gelangen und somit keine Zeit mehr, vor der Abfahrt Getränk und Lesestoff einzukaufen.Weiß der Geier warum, aber vor längeren Reisen schlafe ich zumeist schlecht (obwohl ich eigentlich nie sonderlich aufgeregt bin) und bin daher jetzt matschig genug in der Birne, um nicht an das sog. Bordbistro im ICE zu denken, das zumindest in Sachen drohender Dehydration Abhilfe hätte schaffen können und auch nicht an das Buch, das schon seit der Irlandreise zum Jahreswechsel 2011-12 ungelesen in meinem "Bordcase für Flugreisen" (eine simple Umhängetasche) vor sich hingammelt.
Der ICE trifft mit einigen Minuten Verspätung am Flughafen ein, was ebenfalls nicht so schlimm ist, weil ich auch den üblichen Zeitrahmen von zwei Stunden für den Check In, am Schalter der Fluggesellschaft, mit einem extra Viertelstündchen bei der Vorausplanung etwas aufgelockert habe. Um kein unnötiges Zeugs mitzuführen, habe ich alles Kleingeld zu Hause gelassen, weshalb ich jetzt wieder nichts an einem der zahllosen Getränkeautomaten kaufen kann. Die Zunge klebt mir mittlerweile wie ein olles Fensterleder am Gaumen. Habe ich deswegen schlechte Laune? Pah! Ich habe alle Zeit der Welt und werde schon noch etwas zu Trinken bekommen. Also schlendere ich gemütlich durch die endlosen Gänge des Terminals.
Endlich beim Check In meines Fluges angekommen, erfahre ich dort, dass es üblich ist bei Kanadareisen nicht zwei, sondern drei Stunden vorher einzuchecken. Es mag nach Sarkasmus klingen, aber ich bin wirklich froh, dass ich davon nichts wusste. Beim Baggage Dropoff kommt dann endlich meine Lieblingsfrage: "Ist das Ihr ganzes Gepäck?*"
Von hier aus geht es weiter zum Sicherheits-Check und auf dem Weg dorthin finde ich zum Glück einen Getränkestand mit Wechselkasse. Wohlwissend dass man keine Flüssigkeiten zum Sicherheits-Check mitnehmen darf, wähle ich die kleinste Bechergröße und habe mit dem Kauf eines Orangensafts jetzt mein deutsches Rest-Papiergeld wieder zum Teil in (für die nächsten Wochen) unnützes Münzgeld umgewandelt. Was solls. 
Das Becherchen der ausgewiesenen Größe "Kids" ist schon lange geleert, bevor ich endlich beim Taschen- und Jackendurchleuchten angekommen bin. Dort stelle ich mich jetzt derartig slapstickesk tollpatschig an, dass die Beamtin der Bundespolizei mich NACH dem Ausleeren sämtlicher Jackentaschen auffordert, die Jacke selbst auch noch auszuziehen und in eine weitere "Lore" für den Röntgentunnel zu legen. In selbige entleere ich auch meine Hosentaschen ein Vorgang bei dem ganz unschuldig mein seit Kurzem vermisstes Taschenmesser wieder auftaucht (...) Schneller als  man drei Punkte zwischen zwei Klammern setzen kann, greift die Beamtin nach der sorglos in die Plastikkiste geworfenen "Waffe" und unwillkürlich greife ich mir mit beiden Händen an die Stirn, während in Zeitlupe folgender Film durch meinen Kopf flackert: Taschenmesser in der Hosentasche vergessen, Hose in die Dreckwäsche gepackt, Taschenmesser verloren geglaubt, Schnitt. Kurze Aufblende aus schwarz zu Hose mit Taschenmesser in der Waschmaschinentrommel: Es ist heiß und nass, alles dreht sich, hektische Umschnitte.
"Hihi-" (göbel) "-HIHIHIIII!"
Erst wird es dem Taschenmesser durch das Gewirbel kotzübel, dann fasst es einen teuflischen Plan, klammert sich in der Hosentasche fest und kichert irre durch das schaumige Armageddon, Schnitt. Die Hose trocknet, langsame Blende auf schwarz, Schnitt. Ich ziehe eben diese Hose heute morgen an und das Taschenmesser kichert immer noch völlig gaga aber lautlos in sein Heft hinein, Schnitt.

Die Beamtin hält das zusammengeklappte (übrigens supersaubere) Taschenmesser in der plastikbehandschuhten Hand und sieht mich erwartungsvoll an. Zum Glück kann sie mir wohl ansehen, für wie unglaublich dämlich ich mich selbst in diesem Moment halte... so wie ich da vor ihr stehe, mit beiden Händen an der Stirn. 
Die Länge der Klinge wird vermessen und (Überraschung) nicht für den Flug zugelassen. Man bietet mir an, das Messer zu entsorgen, aber weil es ein teures Messer ist und weil ich Befürchtungen darüber habe, was es sich als Rache für meine Zustimmung zur Entsorgung wohl als nächstes Ausdenken könnte, lasse ich es gegen eine denkbar geringe Gebühr beim Fundbüro des Flughafens bis zu meiner Rückkehr aufbewahren. Ich werde es bestimmt nicht dort vergessen...

(to be continued)

* Grüße an den Tweep aus Hamburg, der die Lieblingsfrage nach der Gepäckmenge schon vorher gestellt hatte 'ß-]