Freitag, 17. September 2010

ABSCHIED

Wie auch schon über Sydney gäbe es über die Tage in Undara noch unendlich viel mehr zu berichten. Z.B. als ich die Rippenpoofes zum fancy dinner in der Lodge von Undara eingeladen habe (nur soviel dazu: ich hatte kleine Krokodil-, Känguru- und Straußensteaks mit Kartoffelpüree, Rotweinsauce und Salat) oder wie der Lord Abend für Abend todesmutig (um nicht zu sagen, hirnverbrannt leichtsinnig) mit offenen Schuhen und unbestrumpften Füßen in den Busch stapfte um Feuerholz zu sammeln oder der eigenartigen, sehr jungen Rezeptionistin des Campingplatzes, die noch blasser als ich und irgendwie immer ein bisschen wie ungebackener Brotteig war... 


Auch möchte ich Eure Geduld nicht noch ein drittes Mal mit einer dieser unsäglich laaangen Autofahrten herausfordern. Die letzte dieser Art führte zurück nach Cairns, wo ich noch ein paar sehr angenehme Tage bis zu meinem Flug nach Hause verbrachte.
Überhaupt habe ich an diesen kleinen Blog nie den Anspruch eines lückenlosen Reiseberichts gestellt und um ganz ehrlich zu sein, bin ich selbst ein wenig überrascht davon, wie lange er am Ende geworden ist. Das Ziel war es aber, Euch, die Ihr Lust am Lesen habt, ein kleines Stückchen mitzunehmen auf meiner Reise nach Australien und ich hoffe, das zumindest ist mir geglückt. Für alles weitere müsst Ihr mich schon selbst befragen. Wenn es noch in meinem Gedächtnis ist, krame ich es gerne wieder hervor.


Noch sind wir aber nicht am Ende angelangt, denn der anstrengendste Teil der Reise liegt noch vor mir: Die Rückreise.
Am Morgen der Abreise aus Cairns verstecke ich noch ein paar kleine Souvenirs vom dicken, alten Onkel in der Wohnung meiner Gastgeber, denen ich nicht genug von Herzen für ihre Gastfreundschaft danken kann, bevor sie mich letztlich zum Flughafen bringen und verabschieden.
Der Abschied ist sehr herzlich aber auch kurz und schmerzlos (nunja, so ganz schmerzlos sind Abschiede ja eigentlich nie).
Auch beim Abschied von diesem Blog wollen wir es nicht anders halten und es möglichst kurz machen. Ich besteige die Maschine in Cairns, fliege zurück nach Sydney, warte dort für zwei Stunden im Transitbereich, steige um in die Maschine nach Singapur, fliege acht Stunden, warte dort für eine Stunde bis die Maschine neu betankt ist und fliege weitere 16 Stunden nach Deutschland. In der Kopfstütze des Sitzes vor mir ist, wie auch schon auf dem Hinflug, ein kleiner Monitor, auf dem ich Spielfilme oder TV-Programme anschauen kann, aber auch ein Kanal, auf dem man verfolgen kann, wo sich das Flugzeug momentan befindet – Flughöhe und -geschwindigkeit, Außentemperatur und Position über einer kleinen Landkarte. Schon lange bevor wir uns über der Türkei befinden, beschwöre ich dieses Programm und setze alle mir zur Verfügung stehenden übersinnlichen Kräfte ein, das kleine Flugzeug auf dem Monitor einen Satz nach vorne machen zu lassen. Allein, es ist nicht allzu weit her mit meinen übersinnlichen Kräften und wir landen in Frankfurt/Main zur vorberechneten Zeit.
In Frankfurt besteige ich den Zug nach Köln und sehe ein bisschen wehmütig auf den roten Staub an meinen Schuhen, bin aber in Gedanken mehr schon daheim als noch auf Reisen.


Nach etwa 30 Stunden Flughäfen, Flugzeugen, Wartezeiten, Bahnhöfen und Zügen ist es endlich geschafft – ich bin wieder auf der mir so wertvollen Müllhalde angekommen. Wenn etwas eine unzweideutige Form hat, einen unzweideutigen Geruch/Klang/Geschmack und sich unzweideutig anfühlt, bin ich der Meinung, dass man dafür auch jederzeit unzweideutige Ausdrücke verwenden darf: Ich bin vollkommen am Arsch. Der erste Gedanke den ich habe, nachdem ich die Tür hinter mir schließe ist: "Das machst Du nie wieder." Und ich weiß schon während ich das denke, dass das nur Stressdenke und purer Unsinn ist.
Außer einer Luftballondekoration von der lieben Haussitterin finde ich zur Begrüßung auch noch eine Flasche Bier im Kühlschrank. Neun Uhr morgens... Uhrzeiten sind was für Beamte – also Prost! Ich nippe ein paar mal auf dem Bett sitzend, während ich mir die Klamotten von den müdewehen Knochen pelle, kippe zur Seite und sinke in den Schlaf.


Also psst, seid bidde ganz leise, wenn ihr das Blogfenster schließt und habt tausend Dank fürs Lesen und fürs Posten... bis vielleicht bald...
Eicke

GAY BIRDS AND SKIPPY'S ZOO




Die Bar
Der Campingplatz Undara unterscheidet sich in vielen Dingen von Richmond – zunächst einmal in Größe und Komfort. Um es in möglichst simple Worte zu kleiden: Es ist alles um ein vielfaches größer und komfortabler. Es gibt einen kleinen Supermarkt auf dem Gelände und eine sehr hübsch eingerichtete Bar, direkt angeschlossen an ein Restaurant. Die Begrenzungen von Bar und Restaurant werden an drei Seiten von ausgedienten Eisenbahnwaggons gebildet, die von einem Kunststoffdach in Größe eines halben Fußballfeldes überspannt werden, die vierte Seite ist volkommen offen und gibt den Blick auf die Wildnis frei. Ebenfalls anders ist die Vegetation in Undara. Die Anlage wurde mitten in den Busch gepflanzt, sodass sich die Stellplätze für Zelte und Wohnwagen hier nicht auf einer künstlich angelegten freien Grünfläche, sondern auf sandigem Boden zwischen vereinzelten Bäumen finden. Dadurch hat man tagsüber immer die Möglichkeit vor der brütenden Sonne in den Schatten zu flüchten, ist aber auch der heimischen Fauna sehr viel näher. Vögel sind allgegenwärtig und mitunter naseweis zutraulich. Immer wenn ich gerade denke: "Die Sorte Vogel kennste!", muss ich gleich darauf erkennen, dass eine Elster in Undara zwar den deutschen Elstern ähnelt – aber eben nur ähnelt. Weil mir kein bessere Analogie einfällt, schlage ich vor, Du stellst Dir eine Undara-Elster als deutsches Auto vor, dass man zum 'Aufmotzen' in die Hände eines italienischen Designers gegeben hat... die Linienführung ist irgendwie weicher. Es gibt aber auch größere Vögel aus der Rabenfamilie, die fast aussehen wie zu groß geratene Kolkraben, mit dem kleinen Unterschied, dass sie quittegelbe Augen haben. Diese Beinahe-Kolkraben sind besonders neugierig, untersuchen alles was gerade unbeaufsichtigt scheint auf eventuell Verwertbares und einer von ihnen hüpft sogar auf unseren Klapptisch, um den Inhalt des darauf befindlichen Kochtopfes in Augenschein zu nehmen. Offenbar ist er jedoch kein Freund von Fertiggerichten und hoppelt ganz ohne Beute wieder von dannen. Diese Beobachtung ist keine einseitige Angelegenheit. Ich beobachte die Raben und diese Viecher beobachten mich, ja wir beobachten einander beim Beobachten und hol's der Geier, hin und wieder sitzt einer auf Kopfhöhe in anderthalb Metern Entfernung auf einem Ast und sieht mir direkt in die Augen und scheint mich zum wer-blinzelt-zuerst-Wettbewerb herausfordern zu wollen. Wenn in diesem walnussgroßen Gehirn nicht mehr vorgeht als nur "Futter/Fortpflanzen/Fliegen" will ich nicht mehr Wally heißen.

Dann gibt es Schwärme von Papageien in allen Farben des Regenbogens – und eine Art, die sogar alle Farben des Regenbogens auf einmal zur Schau trägt. Ein sehr sympatischer Brauch der Rippenpoofes ist es, Tieren, die man nicht namentlich/speziestechnisch einordnen kann, selbst einen Namen zu geben – ganz nach gutem, alten Entdeckerbrauch (und die große Wahrscheinlichkeit ignorierend, dass die Art womöglich schon einen ganz anderen Namen besitzt). Diesem Brauch folgend taufe ich die Art der Regenbogen-Papageien auf den Namen "CSD-Vogel". Ein wenig später stellt sich heraus, dass ich mit dieser Benennung gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt bin, denn es handelt sich in der Tat um Rainbow-Lorikeets.

Es gibt natürlich nicht nur Vögel in Undara, sondern auch so ziemlich alles andere was kräucht und fleucht – kleine Schlangen (zum Glück nur sehr wenige), Echsen mit tiefblauen Zungen (noch weniger, etwa so groß wie die Raben), Spinnen in allen Größen und Farben, daumennagelgroße Laubfrösche (die sich gerne in den Nasszellen aufhalten), Ameisen über Ameisen und Fliegen über Fliegen über Fliegen über Fliegen, maaaaaassenweise Fliegen. Auch die Fliegen sind nicht die dümmsten und gehen Dir darum nicht permanent auf die Nerven, sondern sie warten ab, bis Du Essen zubereitest und gehen Dir dann erst auf die Nerven, dann aber richtig. Ganz besonder wild sind sie auf proteinreiche Nahrung – also Fleisch.
Gut ist, dass wir neben dem Zelt zum Wohnen und Schlafen noch ein zweites kleineres Zelt dabei haben, dessen Wandbespannung im wesentlichen aus Fliegengittern besteht und dort bereiten wir die Mahlzeiten. Weniger gut ist, dass Lord und Lady Rippenpoofe sich diesen eigentlich praktischen Umstand nicht so richtig nutzbar machen, weil sie mehr als nur einmal bei der Essenszubereitung die Türen des Fliegengitterzeltes nicht schließen. Manche würden solch ein Verhalten als Optimismus bezeichnen, andere nennen das wahrscheinlich Dummheit, ich hingegen bin im Urlaub, weit entfernt von derlei Kategorisierungen und mühe mich nach ungelenken Möglichkeiten das Fliegenproblem im Kochzelt zu lösen, indem ich versuche die Fliegen mit einem Plastikteller bewaffnet aus dem Zelt zu verscheuchen und dann den Eingang zu verschließen, während sich Lady Rippenpoofe über diesen grotesken (wie auch völlig nutzlosen) Tanz den Hintern ablacht. Von Ferne muss ich aussehen wie eine Mischung aus Drogenderwisch und Don Quichote, der sich zur Musik eines Dauergelächters zum Affen macht. Mit sich-zum-Affen-machen (gewollt oder ungewollt) hatte ich noch nie ein Problem und im Urlaub schon zweimal nicht.
Lady Rippenpoofe hat in diesem Fall natürlich doppelt gut Lachen, denn nicht nur der Vorgang des Kochens ist durch mein begleitendes Gehampel lächerlich, sondern auch das Essen selbst, was daran liegt, dass sie kein Fleisch isst. Während Lord Rippenpoofe und ich also auf unseren Klappstühlen sitzen, mit einer Hand die noodles with mincesauce in uns hineinschaufeln und mit der anderen Hand ununterbrochen wedelnd versuchen die Fliegen abzuwehren, sitzt Lady Rippenpoofe direkt nebendran mit ihrer vegetarischen Mahlzeit, von Fliegen nahezu unbehelligt, und sie kommt vor Lachen über unsere Wedelei kaum noch zum Essen. Lord Rippenpoofe ist irgendwann derart durch den Mittagessenfliegenterror genervt, dass er sogar mitsamt Teller die Flucht ins Auto antritt. Allerdings versäumt er es, beizeiten die Wagentür hinter sich zu schließen...

***
Undara hält neben Bar und Restaurant noch weitere Annehmlichkeiten parat, so z.B. einen Swimmingpool, der nicht etwa langweilig rechteckig, sondern in Form zweier sich überschneidender Kreise daherkommt. Einer der Kreise ist für kleine Nichtschwimmer gedacht (mit knietiefem Wasser) und der andere Kreis ist (zumindest für mich) auch nicht zum Ertrinken geeignet, weil er an seiner tiefsten Stelle nicht viel tiefer ist als ich lang bin. Aus unschwer ersichtlichen Gründen wird der Pool in dieser recht trockenen Gegend mit Salzwasser gespeist und er ist umgeben von einem hüfthohen Zaun, der die Tiere ringsum vom Baden (oder schlimmer noch, vom Trinken-und-sodann-am-Pool-Verenden) abhalten soll. 


Die Freizeitaktivität des Planschens ist wirklich einmal eine willkommene Abwechslung zu den sonstigen Dingen, die wir gemeinsam vornehmlich zur Mittagszeit unternehmen und deshalb machen wir auch reichlich Gebrauch davon. Weil ich immer noch nicht müde bin mich zum Affen zu machen, gehe ich besonders gerne mit Hut und Sonnenbrille ins Becken und finde dabei heraus, dass der Hersteller des Hightechtextils, aus dem mein Hut genäht ist, tatsächlich nicht übertrieben hat bei der Behauptung, das Ding sei wasserdicht. Passenderweise bezeichnet man Kopfbedeckungen dieser Form als "bucket hat" – und wahrhaftig, wenn man ihn umdreht, kann man ihn problemfrei wie einen Eimer (bucket) verwenden, ohne Wasser dabei zu verlieren. 


Ich liege wieder einmal ein Weilchen wohl behütet, bebrillt und wassergekühlt im Pool und blinzele träge in der Gegend umher, als sich unerwarteter Besuch einstellt. Mama Känguruh kommt mit ihren zwei Kindern vorbeigehoppelt – ein noch sehr kleines im Beutel und ein präpubertärer Selbsthoppeler. Vatern ist vermutlich noch im Büro... 
Warum habe ich keine Bilder davon? Weil meine Kamera nicht aus dem selben Material gemacht ist, wie mein Hut. Es handelt sich hier nicht um die so bez. Roten Riesenkänguruhs, sondern um ihre grauen Geschwister, die etwas kleiner sind. Diese Mama ist ungefähr 1,20m groß und zeigt nicht die geringste Scheu vor dem merkwürdig behüteten und bebrillten Seeelefanten hinter dem Metallzaun, sondern kommt bis auf wenige Meter heran, legt  sich gemütlich ins Gras, nippelt ein bisschen an den Halmen und schaut mir zu. Irgendwie erinnert mich die Situation an etwas, bei dem für gewöhnlich ich auf der anderen Seite des Zauns stehe und tumb in ein umzäuntes Gelände glotze.
Mama Känguruh macht mit den Kleinen einen Ausflug zum Menschenzoo, in dem diese unansehnlich nackten (und in diesem Fall bleichen) Zweibeiner hinter einer schützenden Barriere in Wasser eingelegt werden, wo man sie also auch halbwegs gefahrlos den Kinderchen einmal zeigen kann. In unseren Breiten geht man davon aus, das Wildtiere ein gesundheitliches Problem haben müssen, wenn sie sich ohne ersichtlichen Grund in die unmittelbare Nähe von Menschen begeben, das scheint hier aber nicht so zu sein, denn sobald ich meinen gut eingeweichten Körper aus dem Pool bewege, springt Mama Känguruh auf und trollt sich mit ihrem Anhang zurück in den Busch.
Natürlich wird man auch in Undara bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewisen, dass man den Tieren keinen Gefallen tut, wenn man sie füttert. Ich glaube allerdings dieser Hinweis geht leider an einigen Besuchern ungehört vorbei. An jedem Abend den wir in  Undara verbringen, bekommen wir an unserer Zeltstatt Besuch von einem Paddy Melon – einer sehr kleinen Känguruhart. Dieses hat ungefähr die Abmessungen eines viel zu dicken Dackels mit einem viel zu kleinen Kopf und zeigt ebenfalls nicht die geringste Scheu, sondern geht bei seiner Suche nach fallen gelassenen Leckerbissen wirklich auf Tuchfühlung und streift dabei sogar einmal das Bein des Lords. 
Wer beim Lesen dieser Zeilen jetzt aufspringt und Tickets nach Queensland bucht, vom Gedanken beseelt dort Minikängurus streicheln zu können, sei hiermit eindringlich gewarnt: Mitunter können diese plüschigen Wonneproppen garstige Parasiten mit sich herumschleppen, denen egal ist, woher das Blut kommt, dass sie zum Leben brauchen und noch egaler, was sie dabei an Krankheiten übertragen.


Die oberste Regel für den Besucher im australischen Busch lautet (und das wurde mir auch von meinen beiden Begleitern mehrfach ins Gedächtnis gehämmert): Egal ob Pflanze oder Tier! Wenn Du nicht mit absoluter Sicherheit WEISST, dass es ungefährlich ist, FASS ES NICHT AN!

Donnerstag, 16. September 2010

RED ROAD RIDE

Im rund 100km ostwärts von Richmond gelegenen Örtchen Hughenden machen wir einen kurzen Halt, um uns mit neuen Lebensmitteln, Getränken, aber auch Eiswürfeln im praktischen Vier-Liter-Plastiksack zu versorgen. Ohne Eis (das wir immer wieder, bei jeder sich bietenden Gelegenheit einkaufen) nützt dem Outback-Reisenden auch die schönste Eisbox nicht das Geringste.
Der Mann an der Kasse des Lebensmittelladens erkennt mich schnell als deutschen Touristen und verabschiedet mich sogar auf deutsch: "Feelan Donk mine Hair ond ouf Veederzayn!" Einerseits finde ich es wirklich nett, dass der Typ sich die Mühe macht, in meiner Muttersprache mit mir zu reden, auf der anderen Seite macht es mir schon wieder bewusst, dass mein deutscher Akzent doch recht aufdringlich sein muss. Schlimm ist das natürlich nicht, aber ungewohnt. Daheim
hätte kein Schwabe, Bayer, Sachse, Hamburger, Saarländer (oder was auch immer) auch nur die geringste Chance, meine Herkunft anhand meines sprachlichen Singsangs ungefähr in irgendeinen Teil der Republik einzuordnen. Hier nun scheint es so zu sein, dass ein sprachlich blinkendes und trötendes Eisbein mit Sauerkraut über meinem Schädel rotiert.


Nachdem die Besorgungen getätigt und im Wagen verstaut sind, verlassen wir Hughenden in Richtung Norden. Der geteerte Highway endet schon bald und wir befahren nunmehr eine dieser rostroten Staubpisten, die sich über weite Strecken durch den Busch fressen und die ich bis dato nur aus Dokumentationen von National Geographic kannte. Die Müdigkeit fordert wieder ihren Tribut und ich bette mein dumpfes Haupt auf ein Badetuch, das ich über die neben mir auf der Rücksitzbank stehende Kühlbox gelegt habe und tatsächlich gelingt es mir für ein Weilchen einzudösen.
Ein Problemchen an diesen rostroten Staubpisten ist, dass sie hie und da von kürzeren geteerten Wegstrecken abgelöst werden. Das mag zunächst nicht allzu problematisch erscheinen, ist es aber, wenn man versucht mit dem Kopf auf der Kühlbox zu schlafen, während dieselbe, der Wagen und ich darin mit etwa 80 Stundenkliometern i.e. Getöse über die Schwellen von Staubpiste zu Teerpiste und später zurück von Teerpiste zu Staubpiste poltert. Massenträgheit: Dolle Sache! Bei jeder Schwelle aufwärts knallt erst die Kühlbox von unten an meinen Schädel, der wiederum durch diesen Impuls beschleunigt in Richtung Wagendecke abhebt, bei jeder Schwelle abwärts sackt die Kühlbox kurz unter meinem Kopf weg, der dann massenträge verzögert der Schwerkraft folgend wieder auf die Kühlbox knallt. Nach der vierten oder fünften Erfahrung dieser Art verabschiede ich mich von der prinzipiell guten Idee eines Nickerchens und starre triefäugig und drieselig in den vorbeiziehenden Busch.

Während wir nun gemeinsam durch den rostroten Busch rumpeln, können wir uns wieder ein wenig mit australischen Eigenheiten beschäftigen – Abkürzungen und Verniedlichungen: Die Menschen hier scheinen davon geradezu besessen zu sein. So nennt man eine Kühlbox z.B. "Esky", was vermutlich eine Koseform von Eskimo sein soll (und eigentlich ein Schimpfwort ist). Die Sonnenbrille (sunglasses) nennt man "sunnies", wenn etwas gemütlich oder angenehm (comfortable) ist, sagt man dazu "comfy", der Grill/das Grillfest (barbecue) wird wahrhaftig "Barbie" genannt, und und und...
Ganz besonders hübsch finde ich den Ausdruck "pommy", der nicht etwa eine wunderschöne Kartoffel, sondern tatsächlich den gemeinen Briten bezeichnen soll. Wie das?
Nun, als stolzer Australier betrachtet man wohl gerne das britische Inselvolk ein wenig herablassend und verunglimpft es ironisch als "Prisoners Of the Monarchy" (Inhaftierte der Monarchie) – kurz P.O.M. Die Australier, die das so als noch nicht verunglimpfend genug erachten, erklären das selbe Akronym mit "Pervs Of the Monarchy" (Perverslinge der Monarchie) und diejenigen Australier, die von Verniedlichungen besessen sind (also eigentlich alle), machen daraus eben "pommy".
Bemerkenswert an der weltpolitischen Stellung des Landes ist, dass Australien noch immer ein hochoffizieller Teil des britischen Commonwealth ist und ich kann bloß vermuten, dass daher auch der Wind der teils ironischen, teils bitteren Herablassung weht, denn der stolze Australier an und für sich will eigentlich eher nichts mit der ganzen Royalty-Kiste am Hut haben. Nichtsdestotrotz kann nach meinem Kenntnisstand bis heute noch kein Gesetz vom australischen Parlament verabschiedet werden, wenn die britische Lisbeth nicht huldvoll mit dem Kopf dazu genickt hat. Anderenorts sagt man dazu ratifizieren, glaube ich...

Vier Stunden später rumpeln wir immer noch durch den vorbeiziehenden Busch und ich bin jetzt endlich am scharf abfallenden Rand meiner bislang verträglichen Laune angelangt. "Zu einem anderen Campingplatz fahren" klang in meinen Ohren nach einer Sache von ein bis zwei Stündchen und wir sind nach nunmehr vier Stunden noch nicht einmal in Sichtweite von irgendetwas. Ich lasse mir von der Lady eine Straßenkarte geben, und rechne still in mich hineingrummelnd, während sich ein graustinkendes Wölkchen über meinem Kopf zusammenbraut: 80kmh x 4Std. potenziert mit Alarmwecken um halb8 + gefechtsmäßigem Aufbruch = (... 2 hin 1 im Sinn) eine verdammtverdammt miese Dreckslaune und auf der Straßenkarte gezirkelt noch einmal ca. 4 Stunden Rumpelei bis Undara, also dem designierten Ziel dieser Fahrt. Ich habe offenbar noch immer nicht verinnerlicht, wo zum Donner ich mich hier befinde: IN AUSTRALIEN – das Land, in dem man auch schon mal zwei Stunden bis zum Bäcker fährt, um sich ein Puddingteilchen und eine Tüte Gummischlangen zu kaufen, um wieder zu Hause angekommen noch einmal umzukehren, weil man erwägt, dass zwei Puddingteilchen ja zweimal besser sind als nur eins. Mein wachsender Unmut, den ich unter Aufbringung aller mir möglichen Selbstkontrolle nur sehr zurückhaltend äußere, scheint den Lord zu belustigen oder vielleicht denkt er bloß gerade an Puddingteilchen – jedenfalls sehe zum ersten Mal, seit er hinter dem Steuer sitzt, ein fröhliches Lächeln über sein Gesicht huschen.
Dem Unmut folgt zähflüssiger Fatalismus, seinerseits gefolgt von einem kleinen bisschen Wahnsinn, als wir einen Wegweiser passieren, der das Örtchen Hughenden anzeigt (von wo wir aufgebrochen sind) UND ZWAR IN UNSERER FAHRTRICHTUNG! Nunja, die Sache mit der Beschilderung von Dingen haben die Aussies noch nicht so richtig im Griff. Wir sind also nicht etwa im Kreis gefahren, sondern die Beschilderung ist schlicht und ergreifend Mumpitz. Nach ingesamt rund sieben Stunden Backenplattsitzens sehe ich das erste – nein, das einzig vernünftige, das wundervollste Straßenschild der gesamten Reise. Darauf steht in schwarz auf gelb und in vollkommen unsarkastischen Großbuchstaben: ROAD ENDS. Wir sind endlich angekommen.
Später am Abend dieses anstrengenden Tages geschieht es nun, dass Lord Rippenpoofe (beholder of the swearjar) am Lagerfeuerchen neben dem Zelt sitzend seine Bierdose und seine Stimme erhebt, um folgende Ode zum Besten zu geben:

Wally is a friendly guy
And almost always happy
But sitting in the car for five* hours
That really made him snappy

* zu Gunsten des Beinahe-Reimschemas wurden hier zwei Stunden unterschlagen

Mittwoch, 15. September 2010

RAID OVER RICHMOND

Heute bin ich ausnahmsweise einmal nicht so gut gelaunt... nein, eigentlich bin ich im Augenblick total angefressen und ich finde, das darf bitte auch einmal vorkommen, nachdem ich (vom Ankunftstag in Sydney abgesehen) nichts als gelassenen Frohsinn verbreitet habe und beinahe immerzu für beinahe jeden ein breites, freundliches Lächeln mehr als nur übrig hatte.

Wenn krasse Veränderungen in komplexen Systemen (wie z.B. persönlichen Gefühlslagen) eintreten, liegt derlei Umbrüchen anscheinend nicht selten nur ein winzig kleiner Auslöser zugrunde. Ein amerikanischer Meteorologe prägte zur Veranschaulichung des Phänomens (anno tobak) den Begriff Schmetterlingseffekt, nach welchem der Flügelschlag eines Schmetterlings an einem Ende der Welt einen Wirbelsturm ganz woanders auf dem Planeten mitverursachen kann. Um diesen so unglaublich griffig bezeichneten Schmetterlingseffekt geistig zu durchdringen, muss man zunächst eine kleine Reise durch "Nichtlineare Dynamik" und/oder auch  "Deterministisches Chaos" unternehmen, was uns hier glücklicherweise erspart bleibt, weil mein momentanes Angefressensein nichts mit alledem zu tun hat – ich finde es aber dennoch schön, dass wir darüber gesprochen haben.

Meine derzeitiges Angefressensein... nein, meine verdammte Scheißlaune gründet auf einer vergleichsweise simplen Kausalitätskette, deren Schlüssel für das Umkippen meiner Stimmung – in einer wiederum vergleichsweise kurzen Zeitspanne – nicht mit Rundumlicht und Nebelhorn gekennzeichnet werden muss, um weithin sicht- und hörbar zu sein.

Nachdem wir gestern nachmittag von unserem sehr lustigen Fossickingausflug zum Zeltplatz zurückgekehrt waren, tat ich etwas, das in der brütenden Hitze nur eingeschränkt empfehlenswert ist: Ich öffnete mir eine Flasche Bier aus der Eisbox, (nicht nur) um den Wüstenstaub in meiner Kehle herunterzuspülen. Die große Hitze plus Alkohol plus mehrere Nächte mit wenig Schlaf in Folge zeitigten alsbald in dieser Zusammenstellung eine nahezu narkotisierende Wirkung. Bevor ich also Gefahr lief betäubt vom Campingstuhl zu kippen, schüttete ich schnell das Bier weg (d.h. in mich hinein), nahm meine Iso-Matte, legte mich in den Schatten hinter dem Zelt und schlief just in der Sekunde ein, in der mein Kopf die Matte berührte. Dabei muss ich wohl derart laut geschnarcht haben, dass sich die Zeltheringe ringsum im Boden lockerten. 
Ich schlief für Stunden den Schlaf der gerechten Wallies, bis ich kurz vor Sonnenuntergang von ein paar einheimischen Kindern geweckt wurde, die auf ihren quengelig knatternden Zweitakter-Dirtbikes in rund hundert Metern Entfernung durch den Busch bretterten.
Hatte ich zu der Zeit schon schlechte Laune? Nicht die Bohne!
Ich war frisch und ausgeruht und – das mag ich besonders gerne, wenn ich aus gerechtem Schlaf erwache – der Geruch vom soeben köchelnden Abendessen stieg mir in die Nase. Oh jawohl, die Rippenpoofes sorgten sehr liebevoll für mich. Kann ein schöner Tag noch viel besser ausklingen? Wir schmiedeten während des Essens noch den Plan, am nächsten Tag einen weiteren Campingplatz aufzusuchen und ich erkundigte mich (typisch deutsch) pflichtbewusst an der Rezeption des hiesigen Campinplatzes, wie früh am kommenden Morgen wir unsere Zelte abzubauen und zu verschwinden hätten. "Gegen 11" lautete die Auskunft mit dem zusätzlichen Hinweis, dass man diese Dinge hier nicht ganz so eng sähe und dass es auf ein oder zwei Stündchen gewisslich nicht ankäme. An dieser Stelle setzt nun die zuvor erwähnte Kausalitätskette ein. Nun, genau genommen beginnt sie schon mit dem Schlafmangel der vergangenen Nächte und dem daraus resultierenden Altherren-Nachmittagsschläfchen. Wegen desselben war ich ja wieder frisch, ausgeruht und bereit, schon wieder die ganze Nacht in den faszinierenden Sternenhimmel zu glotzen, Sternschnuppen zu zählen, die man hier im Abstand von wenigen Minuten zu sehen bekommt und Sternschnuppenwünsche auf Vorrat zu sammeln – stets in der Gewissheit lebend, dass ich am nächsten Tag ja gemütlich würde ausschlafen können.
*** 
Am nächsten Morgen (heute) um 7.30 Uhr (eastern standard time) spielt sich auf dem Campingplatz in Richmond folgende Szene ab: Die eigentlich immer auf Freundlichkeit bedachte Lady Rippenpoofe beratschlagt mit Ihrem Lord, wie man den seelig schlummernden Wally zu dieser gottlosen Tageszeit möglichst behutsam aufwecken könnte. Der Lord ist eher ein Freund unkomplizierter Lösungen für solcherlei Probleme, die durchaus effektiv aber mitunter auch weniger behutsam sind und brüllt (zwar außerhalb des Zeltes aber trotzdem quasi direkt neben meinem Bett stehend): "GET UP YOU LAZY BUGGER!" (übers. "Steh auf, Du faules Aas!")
Noch während ich durch dies Gebrüll aufgeschreckt versuche zur Besinnung zu kommen und noch bevor ich mir den Schlaf aus den Augen reiben kann, stelle ich fest, dass mir das Zelt buchstäblich über dem Kopf weggerissen wird. Wie von Harpyien gehetzt stopfe ich meine Klamotten in den Seesack, schlüpfe in meine Shorts und Schuhe, greife mir mein Zahnputzzeug und eile fluchtartig in den mehrfach beschriebenen Waschraum, wo ich neben der Zahnpflege auch noch für einige wenige Minuten den Notwendigkeiten meines Stoffwechsels nachkomme, um hernach zu einem bereits abgebauten (ritsch ratsch falt zapp klapp falt) und komplett im Auto verstauten (rumpel pumpel kofferraum-zuknall) Lagerplatz zurückzukehren. Netterweise lässt man mich noch in den gepackten Wagen einsteigen und die Tür schließen, bevor die Reise weitergeht. Der Grund für diesen brutalen Frühstart soll mir erst viel später klar werden – nützt aber nix. Schlechte Laune habe ich zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, was aber allein dem Umstand geschuldet ist, dass ich noch nicht wach genug bin, um meine Gefühle überhaupt wahrnehmen zu können.
(to be continued)

Dienstag, 14. September 2010

FOSSICKING WITH THE RIPPENPOOFES

Es hat sich zunächst nur allmählich, fast unmerklich eingeschlichen und ist mit der Zeit zu so einer Art schmerzhaftem Running Gag geworden: Fast immer wenn die von Wolken unverhüllte Sonne im Zenith steht – Hitze und Strahlung also am schädlichsten sind – und man sich eigentlich nur einen gnadenvollen Hypothermietod in der Arktis wünscht, kommt jemand auf die glorreiche Idee irgendetwas zu unternehmen. Und das wird heute, so ist es bereits beschlossen, Fossicking sein. 

'Fossicking' ist das englische Partizip des deutschen Verbs 'stöbern', kann aber sinngemäß auch für 'Ausgrabung' stehen. Der Campingplatz und mithin Richmond liegen nicht nur mitten im Buschland, sondern auch an Australia's Dinosaur Trail – so zumindest wird es von der örtlichen Touristikstelle (Kronosaurus Korner), die gleichzeitig als Museum fungiert, bezeichnet und soll entweder kleine Kinder erschrecken, oder einfach nur ein wenig nach Marketingkonzept klingen. Ich erkenne schon bald: beides funktioniert. Marketing hin Marketing her – vermittelt werden soll, dass vor einigen Millionen Jahren diverse Viecher in dieser Gegend lebten, die längst schon ausgestorben sind, von deren früherer Existenz aber heute noch ungewöhnlich zahlreiche und überraschend leicht zu entdeckende Fossilien zeugen.

Weil man nun mit 1:1-Modellen von Dinosauriern das Mesozoikum bzw. Paläozoikum weit eindrucksvoller illustrieren kann als mit diesen ganzen griechisch-lateinischen Nase-Hoch-Worten und weil Modelle natürlich marketingtechnisch viel mehr hermachen als doofe Klugscheißereien und weil man mit ihnen auch kleine Kinder viel besser erschrecken kann, hat sich die Kronosaurus Korner das lebensgroße Modell eines (Trommelwirbel) Kronosaurus vor die Tür stellen lassen. Das Ding sieht aus, wie das Ergebnis der fruchtbaren Begegnung eines Krokodils mit einer Seekuh und außer den kleinen Kindern, die sich ängstlich plärrend einpullern, erkennt jeder auf den ersten Blick, dass es sich bei diesem Modell weder um Seekuh, noch um Krokodil handeln soll. Außer der ungewöhnlichen Form helfen bei der Schnellidentifikation zur ausgestorbenen Spezies zum Großteil wahrscheinlich auch die schieren Ausmaße dieses Seedils / der Krokokuh (mit kleinen Hypophysenproblemchen). In das weit aufgerissene, mit spitzen Kunststoffzähnen bewehrte Maul der Ungestalt passt bequem ein ausgewachsener, aufrecht stehender Mann mit einem wirklich hohen Hut auf dem Kopf und dazu nebendran noch seine vierköpfige Familie (nicht ganz so groß und ohne Hüte). Als Hingucker funktioniert das Modell jedenfalls ganz und gar prächtig.

Wir betreten das flache Gebäude des Kronosaurus Korner Museums / der Touristeniformation, um uns über die Freigaben und Beschränkungen des in der näheren Umgebung für die Allgemeinheit ausdrücklich erlaubten Fossickings zu erkundigen. Entgegen der landläufigen Auffassung, dass das Herumrennen-und-Sachen-Ausbuddeln auf öffentlichem Boden ein lustiger und legaler Spaß für jedermann ist, braucht man doch für solch ein Unterfangen nicht nur in Australien fast immer eine Genehmigung von amtlicher Seite. Ich weiß nicht wie, wo oder warum irgendwann einmal der Merksatz "Wer es findet, darf es behalten" aufkam und werde schon gar nicht darüber urteilen, denn zum Glück muss man sich am Dinosaur Trail nahe Richmond nicht mit derlei ethisch-moralischen Erwägungen herumplagen. Ethik und Moral sind ohnehin Worte, die ich bei der verdammten Affenhitze noch nicht einmal denken kann und ich fühle mich beim Betreten des Gebäudes nicht weniger, als am ganzen schweißtriefenden Körper in ein zärtliches Wilkommensflüstern gehüllt, weil es hier drin offenbar eine (jauchzet und frohlocket) Klimaanlage gibt. Was für eine unerhörte Wohltat! Der Himmel segne Kronosaurus Korner, den Erfinder des Wärmetauschers und den örtlichen Energieversorger! Ich denke einen Moment lang darüber nach, auch den Rest des Tages hier zu verbringen.

Eine rundlich-freundliche Dame am Empfangstresen weist uns anhand einer kleinen Straßenkarte den Weg zum Fossicking-Gelände, das nur ein paar Kilometer enfernt im Busch gelegen ist und in dem wir ganz normalen Fritzens, Franzens und Wallies nicht nur nach herzenslust herumbuddeln, sondern sogar das zutage Geförderte behalten dürfen. Außerdem stellt sie uns eine grobe Datierung der dort womöglich gemachten Funde in Aussicht. Ich kann allerdings hinter ihrem Empfangstresen nirgendwo Instrumente zur Radiokarbondatierung sehen und vermute, (obwohl ich gewiss kein Geologe bin) dass ich eine derartig grobe Datierung auch selbst vornehmen könnte – mit einer Toleranz von ungefähr 200 Millionen Jahren... Das mag zunächst einmal schrecklich ungenau klingen, man darf dabei aber nicht vergessen, dass der Planet Erde geschätzte vier Milliarden Jahre alt ist und dass auch ich keine Gerätschaften zur Radiokarbondatierung mit mir führe. Wir werden aber späterhin noch erfahren, was die nette Tresen-Dame in Sachen Datierung so alles auf dem Kasten hat.
  
Bei der Ankunft  an der "Ausgrabungsstätte" mit dem Auto, zeigt sich einmal mehr meine dämlich deutsche Erwartungshaltung zu gewissen Dingen.  
Touristische Ausgrabungsstätte: Vielleicht geht es nur mir so, aber ich dachte dabei eigentlich an ein eingegrenztes Gelände mit einer gut sichtbaren Einfahrt, an der man ein paar Dollars Eintritt zahlt, ein Eimerchen und ein Schäufelchen in die Hand gedrückt bekommt und dann drauflos buddeln kann – also nicht gerade Disneyland, aber eben einfach so etwas wie ein... tja, ein Irgendetwas.

Die gute Nachricht ist: Eintritt muss man nicht bezahlen. Die keineswegs schlechte-, aber immerhin irritierende Nachricht ist: Hier ist absolut nichts und niemand, das oder der diese "Ausgrabungstätte" als touristisch erschlossene Attraktion kenntlich macht. Am Highway steht boß ein handbemaltes, ein wenig traurig und vergessen wirkendes Holzschild mit der Aufschrift 'Fossicking' und einem Pfeil darauf, der geradewegs in den Busch abseits der Straße weist. An dieser Stelle würde ich den Begriff 'Busch' gerne gegen das Wort 'Wüste' eintauschen, weil von Vegetation nur noch in Ansätzen die Rede sein kann. Wenn ich auch schon in einem vorigen Kapitel behauptet hatte, dass mich die Sonne komplett tutzifrutzi gemacht hat, war das offensichtlich noch nicht komplett und nicht tutzifrutzi genug. Ab sofort ist in diesem hübschen Fossicking-Wüsten-Backofen für Weißkäse richtig Gehirnkirmes angesagt und dieser Ballaballa-Hitzepfeil trifft nicht nur mich Weißkäse allein. 

Die Touristen, die sich womöglich nichtsahnend und unvorbereitet zum Buddeln an dieses unmalerische Fleckchen Erde begeben, sehen als erstes meterhohe Stein- und Staubhaufen und als nächstes ganz schön dumm aus der Wäsche, weil sie eben keine Schäufelchen und Eimerchen in die Hände gedrückt bekommen haben, und also auch nichts zum Buddeln haben, außer vielleicht ihre Fingernägel und Zähne. Es gibt auch hie und da ein paar vetrocknete Äste, mit denen man vielleicht auf die Steinhaufen einprügeln kann, das wars dann aber auch schon mit Fossicking. Nun haben wir aber zum Glück einen Jack bei uns und der
wiederum hat fast immer Werkzeug bei sich... nunja, er geht nicht mit dem Schraubenzieher aufs Klo, oder mit der Tischkreissäge zum Kühlschrank, aber er hat einen gut bestückten Werkzeugkasten im Wagen, in dem sich unter anderem zwei Hämmer* befinden. Die eignen sich zwar nicht unbedingt zum Graben, aber ich glaube, so war das mit dem Fossicking auch gar nicht gemeint, sondern dazu sind tatsächlich die Steinhaufen aufgeschüttet worden. Vielleicht ist das aber auch einfach nur die Abraumhalde von der nahe gelegenen Mine ("Chef, was sollen wir mit den Steinen hier machen?" - "Hmmm, kippt sie da hinten in die Wüste und stellt ein Schild an die Straße mit der Aufschrift 'Fossicking'.")
Ich nehme mir einen etwa pizzagroßen Steinbrocken und hämmere ein bisschen darauf herum. Da ich immer noch kein Geologe bin, weiß ich auch nicht, was für eine Sorte Stein das ist, aber soviel kann ich auch als Laie erkennen: Es handelt sich um geschichtetes Sedimentgestein, was darauf hindeutet, dass wir uns hier auf ehemaligem Meeresboden befinden. Nun lässt sich der Stein sehr leicht aufklopfen und siehe da, schon bin ich fündig geworden. Im Inneren einer Schicht erkenne ich zwei fingernagelgroße, versteinerte Muscheln. Junge, das war einfach, also klopfe ich gleich den nächsten Stein auf – Ergebnis: winzig kleine, versteinerte Muscheln. Nächster Stein: Minimuscheln. Doll! Wir stehen auf einer versteinerten Muschelbank. Jack ist aus irgendeinem Grund wie entfesselt und klopft mit dem anderen Hammer auf die Steine ein wie ein Zwangsarbeiter, der sich für Fleißarbeiten eine Extraportion Wackelpeter zum Nachtisch erhofft. Ich übergebe nun meinen Hammer feierlich an Bianca, die sich auf einen der Steinhaufen hockt und mal hierhin und mal dorthin hämmert, bis sie ein Steinklümpchen von der Größe einer Haselnuss in der Hand hält und andächtig erklärt: "Look, I've found a mammoth." Mit gespieltem Kennerblick betrachte ich das Mammut in ihrer Hand und kann nicht anders, als ihr unbedingt beizupflichten. Bei dem ungeheuren Druck, den das Sediment über Jahrmillionen auf das Mammutskelett ausgewirkt hat, ist es kein Wunder, das es nurmehr auf das Volumen eines seiner eigenen Zähne zusammengschrumpft ist – darüber sind wir uns vollkommen einig.
Jack ist mittlerweile außer Sichtweite. Man kann aber noch das unverzagte Wüten seiner Hammerschläge auf unschuldige Steine hören. Um sich selbst ein wenig Schatten zu spenden, hat Bianca einen Regenschirm aufgespannt und erklimmt somit neu ausgerüstet den nächsten Steinhaufen, um nach ihrem Mann zu sehen. Bei diesem Anblick entscheide ich, dass jemand der so aussieht – mit dem Hut, der Brille und mit verbogenem, aufgespanntem Schirmchen in der Wüste herumstolpert – unmöglich Bianca So-und-so heißen kann. Das ist mir schlicht zu profan (außerdem Gehirnkirmes). Fortan reise ich also nicht mehr mit Bianca und Jack durch das Outback, sondern mit Lord und Lady Rippenpoofe (britischer Landadel), die ihre Ländereien in der früheren Heimat aufgegeben haben, um sich in Australien der Archäologie zu widmen. Der Lord ist mittlerweile zur Gänze mit der Umgebung verschmolzen und Steinstaub klebt am Schweiß seiner nackten Unterarme und Beine. Wer das Foto in der größeren Ansicht betrachtet, kann ihn mit etwas Mühe hinter dem Steinhaufen herumfuhrwerkend entdecken, auf dem Lady Rippenpoofe so bemerkenswert graziös posiert.

Die Sonne setzt mir jetzt derartig zu, dass ich mich für die übrige Dauer der Grabungen ins Auto verkrümele und Wasser in mein System nachfülle. Ein wenig später macht Lady R. wahrhaftig noch einen Fund, der zumindest ein bisschen aufregender ist als versteinerte Minimuscheln, nämlich handtellergroße, versteinerte Muscheln – zwei an der Zahl, die zum Zeitpunkt Ihres Ablebens aufeinander gelegen haben müssen und in dieser innigen Stellung ein hübsches Muster für die Ewigkeit ins Sediment gepresst haben. Wir machen uns mit dem Wagen auf den Rückweg zur Kronosaurus Korner, um die rundlich-nette Tresendame nach dem mutmaßlichen Alter der Fossilien zu befragen. Anstelle einer direkten Auskunft erhalten wir von ihr die Fotokopie einer Zeittabelle, auf der verschiedene Arten von Fossilien in ihrer jeweiligen Ära abgebildet sind. Die Muscheln der Lady haben dieser Tabelle zufolge in einem Zeitraum von vor etwa 60 bis 260 Millionen Jahren gelebt... was einer zeitlichen Toleranz von rund 200 Millionen Jahren entspricht. Ich schätze einmal, ich kann mich getrost um eine Stelle als Tresenwally bei Kronosaurus Korner bewerben.

* Warum hat eigentlich ein Mensch zwei Hämmer im selben Werkzeugkasten? Ich habe noch nie jemanden beidhändig Hämmern sehen... Ich werde ihn bei Gelegenheit danach fragen müssen.

Montag, 13. September 2010

WALLY

Der nächste Tag im gemäßigten Ouback erscheint mir noch einmal wesentlich heißer zu sein als der Tag zuvor (gemäßigt weil bewässert und begrünt). Um meinen ersten Eindruck von Richmond ein wenig zu illustrieren, hier das vormals erwähnte Satellitenbild, mit roter Umrisslinie für Campingplatz nebst See.Den dritten Tag in Folge stehe ich für meine Verhältnisse extrem früh auf, obwohl ich den vergangenen Nächten nicht mehr als vier oder fünf Stunden geschlafen habe.

Noch von meiner Schlafstatt aus beobachte ich, wie Jack in einiger Entfernung einen Plausch mit einem der Nachbarn auf dem Campingplatz hält und bekomme nicht viel von der eigentlichen Konversation mit, aber dafür umso häufiger diesen eigenartigen Laut, den man von den Australiern andauernd und überall zu hören bekommt: 'Yeah'. Sie sprechen das allerdings nicht so aus, wie wir uns das in unseren deutschen Hirnen vorstellen, sondern es klingt transponiert in deutsche Phonetik mehr wie: Jeeej (mit wenigstens zwei oder drei 'E'). Es gibt auch kleine Varianten wie „Jeee“ oder „Jeejeej“, aber grundsätzlich ist das australische 'Yeah' mindestens ebenso vielsetig einsetzbar wie das kölsche 'Dä' – zustimmend oder sarkastisch, zynisch oder nachdenklich, verträumt oder philosophisch und es hat dabei natürlich jeweils die Bedeutung der gewählten Betonung.
Bei meinen üblichen morgendlichen Vorbereitungen auf den neuen Tag und noch im Zelt, versuche ich mich nebenher in australischer Sprache – schließlich muss man sich ja ein wenig anpassen – und jeeje also etwas vor mich hin. Nach diesem 'Trockenjeejen' erfolgt ein erster Test am lebenden Subjekt und ich wage mich als Forscher-mit-Bedacht natürlich nicht sofort an einen Einheimischen, sondern zunächst an eine mir bekannte aber nicht auf das Experiment vorbereitete Versuchsperson.

E: „Bianca?“
Bianca: „Hm?“
E (freundliches aber unbestimmtes): „Jeeej.“
Bianca (zustimmend): „Jeee!“

Dä, es funktioniert. Nun hatte diese Konversation natürlich noch keinerlei Inhalt und Bianca kennt mich lange genug um zu wissen, dass ich gelegentlich zum Herumalbern neige. Deshalb muss ich, wenn ich als Forscher jemals ernst genommen werden möchte, eine Stufe weiter gehen und meine neu erworbene Fähigkeit an einem mir völlig unbekannten Subjekt erproben. Um diese Uhrzeit (8 Uhr morgens) gibt es dafür keinen besser geeigneten Ort, als den Gemeinschaftswaschraum des Campingplatzes. Ob man nun ein Morgenmensch ist oder nicht, interessiert hier absolut niemanden. Sobald man nicht mehr allein im Raume ist, wird man auch angesprochen. Ich stehe also am Waschbecken des Badezimmers und putze mir die Zähne, als ein ungefähr 50-jähriger wettergegerbter Bilderbuchaussie die Szene betritt. Er trägt, wie es sich für das Klischee gehört das, was ich als landestypische, oder männliche Nationaltracht bezeichnen würde: breitkrempiger Hut, krauser Vollbart, Poloshirt, Shorts und knöchelhohe Schnürstiefel. Nennen wir ihn doch der Einfachheit halber Roland (für seine Freunde 'Rolly').

Rolly: „G'day mate.“ (austr. Standardgrußformel für „Hallo Kumpel“)

Damit meinte er mich und hier müssen wir auch direkt einen kleinen Einschnitt machen. An anderer Stelle in der Erzählung hatte ich schon behauptet, einen starken australischen Akzent gehört zu haben, das war aber eigentlich nur ein dezenter Vorgeschmack auf das was Rolly und Konsorten so durch ihre Vollbärte brummeln. „G'day mate“ zum Beispiel klingt aus Rollys Vollbart eher wie (deutsche Phonetik) „G'dai mait“.
Es gibt in dieser Sprache massenhaft gedehnte, gebeugte und sonstwie bis zur Unkenntlichkeit entstellte Vokale, Diphtonge und es wird auch gerne ein wenig genuschelt. Dazu nehme man noch als Schalldämpfer und zur Unkenntlichmachung der Lippenbewegungen einen verfilzten Rauschebart und heraus kommt dabei eine Art westerwälder Hinterlanddialekt, nur eben unter Wasser und rückwärts abgespielt – oder anders ausgedrückt: mehrfach passiertes Linguistikpüree.
Das alles stellt aber für die mir jetzt bevorstehende Konversation nicht das geringste Problem dar, denn ich habe noch immer Zahnpastaschaum und Zahnbürste zum Mitnuscheln im Mund und weiß zudem ja nunmehr um die Macht des 'Jeeeej'. (Einschnitt Ende)

E: „M'bay fir. How ya boim?“ (Klartext: „G'day sir. How ya going?“ oder zu deutsch: „Tach der Herr. Wie läuft's denn so?“
Rolly: „(nuschel nuschel nuschel) ...mushroom... (nuschel nuschel nuschel)“. Er hält mir einen Pilz der nach Champignon aussieht unter die Nase. Ich weiß, das klingt alles nach frei erfundenen Märchen – warum schließlich sollte ein wildfremder Mann mir in der Frühe einen dämlichen Pilz in einem Gemeinschaftswaschraum präsentieren wollen – es war aber nun einmal eben genau so. Ich lasse nichts aus, ich füge nichts hinzu.
E (bedächtig/skeptisch): „Jeeej.“ Ich habe aber auch nicht den verschwommenen Schattenriss einer Ahnung, wovon Rolly gerade spricht, kann aber allein dem Klang seiner Stimme entnehmen, dass er beim Anblick des Pilzes über irgendetwas besorgt ist. Rolly eröffnet zustimmend nickend, quasi mit einem Echo meines 'Jeeej' die Fortsetzung seines Vortrages über den Pilz und nuschelt weiter. Ich tue immer noch so, als wüsste ich wo genau das Problem liegt und versuche eine phonetische Variante.
E (verständig/tiefenbrummig): „Jeee“ und Rolly scheint diese Ansicht zu teilen. Er seufzt schulterzuckend noch ein fatalistisches „jeej jeej“, wirft den Pilz in den Abfalleimer unter dem Waschbecken und verschwindet. 


Wie eine gute Freundin wiederholt festgestellt hat, macht Sonne irgendwie albern und weil ich seit geraumer Zeit schon nicht mehr so viel Sonne am Stück abbekommen habe, bin ich wohl ganz besonders albern, oder um der vollständigen Wahrheit die Ehre zu geben: Die Sonne macht mich komplettamente tutzifrutzi. Nach Beendigung meiner Morgentoilette – und vor allem nach meinem Waschraumexperiment in Sachen native-aussie-linguistics, das ich getrost als erfolgreich verbuchen darf – kehre ich also zum Zelt zurück und beschließe meine bisherige Identität (Eicke/Köln /GER/NRW) auf unbestimmte Zeit abzustreifen. Ich proklamiere für die mitreisenden Freunde feierlich, dass mein neuer australischer Name von nun an Wally sei! 


Notiz: Wally entstammt dem kleinen Örtchen Wallahwallah-Bingbong-Creek (AUS/QLD), das weitab jeglicherer Zivilisation im tiefsten Outback liegt, und außer gelegentlichen "Yaaaays" redet Wally nicht besonders viel. Tatsächlich yayt Wally in einem fort und wann immer er nur angesprochen wird – völlig einerlei, ob es gerade Sinn ergibt oder nicht. 
Wally rasiert sich nicht gerne, hat Blasen an den Füßen, Sonnenbrand (und hasst Sonnencreme) und ist vom Scheitel bis zur Sohle übersäht mit Moskitostichen. Er isst gerne noodles with mince und steht auf deutsches Bier, er liebt den Outback-Sternenhimmel, den Busch und die Wüste, verträgt die Hitze dort bei Tag aber nur in kleinen Portionen. 
Nun, eigentlich ist Wally ein unkomplizierter, entspannter und geduldiger Mensch, aber manchmal... ja, manchmal eben auch nicht... und schon deswegen wird ein niederländisch-stämmiger Australier in ein paar Tagen sogar ein kleines Gedicht auf Wally verfassen.

Mittwoch, 8. September 2010

SERENITY


Bei Tageslicht und in Lebensgröße betrachtet ist Richmond nicht halb die Wüstenei oder in dem Maße von allen guten Geistern verlassen, wie das etwas ältere GE-Satellitenbild mich glauben machen wollte. Streng genommen trifft das nur auf den hübsch begrünten und bewässerten Campingplatz am See zu und ich frage mich, wie viel Wasser die armen Irren hier wohl täglich in den Boden pumpen, um diese künstliche Oase am Leben zu erhalten, denn der Rest des Örtchens ist Wüstenei und von allen guten Geistern verlassen. Das ist natürlich ein bisschen ungerecht den (554) Einheimischen gegenüber, die bestimmt nicht alle miteinander verrückt sind, aber es sollte mich schon sehr verwundern, wenn Abgeschiedenheit und extreme Hitze nicht die ein oder andere Gehirnzelle in Mitleidenschaft gezogen hätten. Bei mir nordeuropäischer Weißwurst macht sich der Strahlenschaden jedenfalls recht schnell bemerkbar, denn ich vergesse hin und wieder im Dialog englische Vokabeln, die mir Stunden später, nachdem die Abendkühle eingetreten ist, plötzlich wieder einfallen. Das ist ein kleines Bisschen umständlich für die Gesprächsführung im Allgemeinen, weil Dialoge vom Mittag in der Regel am Abend in etwa so interessant sind, wie die Wettervorhersage für die letzte Woche. Zudem kommt, dass mein Englisch ganz offenbar nicht annähernd so gut sein kann, wie ich mir das bisher eingebildet hatte bzw. dass mein Akzent so unerhört sprachverschleiernd sein muss, dass die Menschen im Gespräch mit mir teilweise wirklich die Augen zusammenkneifen, als käme meine Stimme nur ganz schwach durch das Rauschen eines Wasserfalls. Es rauscht aber nichts – und schon gar kein Wasser. Jack klärt mich darüber auf, dass man hier außer an den Buschakzent an nicht viele sprachliche Varianten gewöhnt sei und dass besonders ältere Menschen (die hier in der Mehrheit sind) gar nicht erst mit schnöseligen, ausländischen Radebrechern wie mir sprechen würden. Das nenne ich einmal gute Nachrichten! Immerhin 250 Labertaschen weniger, die mir die Ohren blutig sabbeln könnten.
Das gilt aber natürlich nicht für die auf dem Camplingplatz siedelnden oder nur durchreisenden älteren Herrschaften (ebenfalls die Mehrzahl), denen es völlig gleichgültig ist, in welcher Spache man sich mit ihnen unterhält, solange es nur halbwegs nach englisch klingt (Gemeinschfaftswaschraum, Herren)
Knittriger Methusalem: "Beautiful day, don't you think?"
E: "Yes sir. It surely is."
Knittriger Methusalem: "And where did you come from, mate?"
E: "All the way from Germany."
Knittriger Methusalem: "Ah... there..." (deutet ungewiss mit dem Finger in irgendeine Richtung)
Seinem Gesichtsausdruck ist eindeutig zu entnehmen, dass er keinen Schimmer hat, wo dies ominöse Germany sein könnte. Wahrscheinlich fragt er sich gerade, ob das im Northern Territory oder in Victoria liegt, also erkläre ich, dass das in Europa ist, dass man ungefähr 24 Stunden mit dem Flugzeug bis nach Australien braucht, blablablablabla... und erlebe es zum ersten Mal auf dem Kontinent der Quasselstrippen und Kommunikationswunder, dass offenkundig ich es bin, der nach dem Geschmack seinens Gegenübers zu viel brabbelt. Jetzt mag ich den knittrigen kleinen Methusalem richtig gern und weil ich im Grunde meines Herzens ein freundlicher Mensch bin, quatsche ich ihn nicht noch weiter voll.
 

Unser Zelt, oder präziser, unsere beiden Zelte – eines zum Übernachten und ein kleineres, dessen Wände nur aus Fliegengittern besteht – stehen am Rande einer kleinen Anhöhe, von der aus wir direkt ins Buschland schauen und bis zu dem künstlich angelegten See sind es etwa 200 Meter. Als ich letzte Nacht vorerst genug vom in-die-Sterne-Starren hatte, wollte ich noch einen kleinen Spaziergang zum und vielleicht sogar um den See unternehmen, als mir aus der Düsternis eine Gruppe von seltsamen Gestalten entgegen kam, mit lauten trampelnden Schritten. Als ich mich ihnen weiter näherte, erkannte ich sie als kleine Herde von frei weidenden Kühen, die im gemütlichem Trab nur etwa zwanzig Metern entfernt, quer über den Campingplatz meinen Weg kreuzte und ich bin es eigentlich gewohnt einen Zaun zwischen mir und dem Weidevieh zu haben – wenn ich überhaupt einmal welches zu Gesicht bekomme. Grundsätzlich sind Kühe für ihr eher phlegmatisches Wesen bekannt, diese hier hatten jedoch Kälber im Schlepptau und wenn man nicht völlig von Sinnen ist, sollte man einer Mutter mit ihrem Kinde (unabhängig von welcher Spezies) im Dunkel lieber nicht zu nahe kommen und so beschloss ich meinen Spaziergang auf den nächsten Tag zu verlegen. 
Heute ist dieser nächste Tag und ich werde den versengten Teufel tun, auch nur irgendwohin spazieren zu wollen, wenn es nicht absolut lebensnotwendig sein sollte, weil die Hitze mich beinahe umbringt. Gegen 8 Uhr bin ich aufgestanden, da es zu dieser Tageszeit im Zelt schon zu warm zum Schlafen ist. Das Bild, auf dem man mich ohne schützenden Hut, in Kontemplation versunken vor dem Zelt in der direkten Sonne sitzen sieht, wurde um 8Uhr30 aufgenommen und um 8Uhr32-dreiviertel habe ich bereits den Rückzug in den Schatten des Zelts angetreten, weil Kellerkinder wie ich in dieser Mörderstrahlung ebenso langsam und gesund bräunen, wie ein Flöckchen Griebenschmalz inmitten eines Kernspaltreaktors. Hatte ich bislang etwas verächtlich über den schnellen Sonnenuntergang gewitzelt, so erscheint mir jetzt schon die Zeit bis zum Mittag überhaupt nicht mehr witzig und die Zeit bis zum angenehmen Abend einfach nur pervers lang zu sein.
Um drei Uhr Nachmittags bin ich fest entschlossen, etwas gegen die lähmende Temperatur zu unternehmen und rufe die Schutzheilige aller Hitzschlaggeschädigten an – Die Eiscremefee!
Die Eiscremefee haben, ähnlich dem Nikolaus oder dem Osterhasen, nur die allerwenigsten Menschen schon einmal wirklich und leibhaftig zu Sehen bekommen. Aber es gibt sie! Sie zählt zu den ururalten guten Geistern des Outbacks und ist so verdammt ururalt, dass selbst die Ureinwohner sie nicht kennen, weil sie leider ein "Ur" zu wenig als Vorsilbe haben. Wenn man sie jedoch kennt, darf man um keinen Preis verraten, woher man sie kennt, denn sonst kommt sie einem nie wieder zur Hilfe. Ich verrate also nix! Und ihr solltet das besser auch nicht tun...
Die Gute erhört mein jämmerlich röchelndes Flehen und schreitet zur Tat: Von diesem Moment an taucht aus dem vollkommenen Nichts täglich ein Eis am Stil für jeden von uns Dreien auf – manchmal in einer Plastiktüte bei den Tageseinkäufen, manchmal schließe ich nur für Sekunden meine Augen und schon (zischpuff) halte ich drei neue Portionen Eiscreme in der Hand. Ich glaube, ich verdanke der Eiscremefee mein Leben.

Dienstag, 7. September 2010

RICHMOND AT NIGHT


Obwohl ich nicht im Besitz einer internationalen Fahrerlaubnis bin, übernehme ich das Steuer für den letzten kleinen Abschnitt der Fahrt, von Hughenden nach Richmond*. Das sind etwas mehr als einhundert Kilometer und nach hiesigen Maßstäben also in etwa der Weg von der Haustür bis zum Tabakladen an der Ecke. Tatsächlich berichtet mir Jack, für einen Kaffeeklatsch bei Freunden schon einmal wesentlich weiter gefahren zu sein. Außer uns ist kaum ein Mensch unterwegs, der Straßenverlauf ist immer noch schnurgerade – beste Voraussetzungen also, sich an das Fahren auf der anderen Straßenseite zu gewöhnen.
Ich werde angewiesen in der pechschwarzen Dunkelheit unbedingt aufmerksam nach kleinen, reflektierenden Augenpaaren Ausschau zu halten, denn noch weit gefährlicher als die Kühe am Tag sind die Skippies bei Nacht. Als Skippy bezeichnet man umgangssprachlich jegliche Art von Känguru vom Paddy Melon bis zum Roten Riesenkänguru und besonders unglücklich für die Skippies nahe des Highways ist, dass sie ein wahrhaft verhängnisvolles Interesse an den sich merkwürdig rasch bewegenden Lichtern auf dieser eigenartig heißen, versteinerten Sandbahn haben. Aus purer Faszinaton für die Erscheinung hopst Skippy also gerne unvermittelt in den Lichkegel und verharrt dort, um die Angelgenheit aus nächster Nähe betrachten zu können, bezahlt seinen Forscherdrang mit dem Leben und reißt dabei, ohne das zu beabsichtigen, womöglich ein paar überraschte Menschen mit ins Unglück, die sich beim Versuch dem Hoppler auszuweichen mitsamt Fahrzeug überschlagen. Ich scherze an dieser Stelle etwas bitter über die Tode vieler unschuldiger Kreaturen, zum Lachen ist mir dabei allerdings nicht. Bei Tageslicht sieht man nicht selten die Resultate jener fatalen Begegnungen in Form von Skippy-Kadavern, die am Straßenrand blutig, verrenkt und zerfetzt vor sich hin verwesen. Eine australische Autoversicherung beziffert diese Vorfälle mit 20000, die Tierschutzvereinigung Kangaroo Protection Coalition hingegen geht von mehreren Millionen getöteter Tiere aus, jährlich. Mit allem gebotenen Respekt als völlig unwissender Ausländer und tumber Tourist zweifele ich beide Angaben etwas an, da eine große Anzahl der Unfälle mit Kängurus eingedenk der bulligen Stoßfänger an vielen Autos keinen Eingang bei der Versicherung finden werden und Schutzvereinigungen gerne ein bisschen kräftiger an der Sirenenkurbel drehen. Die Toleranz um die Wahrheit schwankt demnach wahrscheinlich – den Bezugswert der Versicherung als Kalkulationsbasis verwendend – im Bereich von einigen tausend Prozent. Tjanun, das Land ist groß und solange es keinen Mangel an Kängurus zum Plattfahren gibt, wird es wohl auch keine eingehenderen Untersuchungen zum Thema geben.
Weil das Glück nur allzu häufig mit den tumben Touristen ist, hoppelt mir kein einziger Skippy ins Scheinwerferlicht und wir überstehen die Fahrt völlig zwischenfallsfrei. Wie auch schon das zu Fuß gehen in Sydney, hält das Autofahren in downunder mehr Schwierigkeiten parat, als einfach nur auf der linken Seite zu bleiben und als erstes immer nach rechts zu schauen. So sind zum Beispiel die Bedienelemente am Steuer (aus meiner Sicht) spiegelverkehrt angebracht, sodass ich ein- oder zweimal den Scheibenwischer an Stelle des Blinkers betätige. Das Gaspedal hingegen ist immer noch rechts angebracht, diese Kleinigkeiten sind jedoch nicht auf Dauer oder sonderlich verwirrend. Das größere Problem stellen einmal mehr die festgestampften Pfade meiner Gewohnheiten dar, die mir permanent einflüstern, obwohl ich mich jederzeit visuell vom Gegenteil überzeugen kann, dass sich der größere Teil der äußeren Fahrzeugabmessungen zu meiner Rechten befindet. Ich fahre also sozusagen zwei Autos gleichzeitig – ein reales, das den Fahrersitz rechts hat und ein eingebildetes mit dem Fahrersitz links. Nun wäre dieses Problem wahrscheinlich kein allzu großes, wenn wir uns auf einer deutschen Autobahn in der Nähe von Frankfurt am Main befänden, dies ist jedoch ein Highway durch den australischen Busch bei Buyabra Creek, mit jeweils einer vergleichsweise schmalen Fahrspur in jeder Richtung und alle Jubeljahre einer kurzen Überholspur. Ich muss mich also gewissenhaft auf den Mittelstreifen konzentrieren, mich an ihm entlang hangeln. Klingt ein bisschen dramatisch, aber nach zehn Minuten habe ich mich angepasst und erfreue mich an der Cruise Control, im Deutschen besser als Tempomat bekannt. Der Wagen beschleunigt nach jeder Bremsung von alleine auf die voreingestellte Endgeschwindigkeit, am Lenkrad muss man fast gar nicht drehen, ja eigentlich fährt sich die Kiste wie von selbst und ich glaube, die vormals beschriebenen und scheinbar unnützen Kürvchen, dienen hauptsächlich dem Zweck die Fahrer vor dem Einschlafen zu bewahren. Von der Spur abzukommen bedeutet hier nicht etwa über die Standspur in die Leitplanke zu fahren und mehr oder minder sanft davon abzuprallen, denn sowohl Standspuren als auch Leitplanken gibt es einfach nicht. Ende der Fahrbahnbegrenzung = Holterdipolter ^ Busch ^ Baum ^ Krachbumm ^ Tod. Straight forward and fair dinkum (s. Fußnote vorheriger Beitrag). 
Nach der schier endlos erscheinenden und nicht immer unterhaltsamen Fahrt erreichen wir den Campingplatz beim See in Richmond in völliger Finsternis gegen 9Uhr30 und ich wette, besonders der ungeduldige Leser ist darüber genau so erfreut wie ich. Glückwunsch ungeduldiger Leser, jetzt heißt es erst einmal Beinchen strecken, Pipi machen und dann geht's auch schon an's Zelt aufbauen.
Das Zelt ist mannshoch auf einer Grundfläche von 2,5 x 5m und hat erfreulicherweise zwei getrennte Kammern. Das hat zwar rein akustisch so gut wie gar keinen Effekt, jedoch haben meine verheirateten Gastgeber und ich immerhin das Gefühl von Privatsphäre und das ist eine ganze Menge wert. Bevor meine beiden Begleiter und Hardcore-Party-Animals wieder um viertel nach zehn in den Tiefschlaf fallen, bauen wir noch einen Campingtisch und ein paar Stühle vor dem Zelt auf, essen eine Kleinigkeit, trinken mitgebrachtes Bier aus der Eisbox, ich starre fassungslos in den glasklaren Sternenhimmel und bedanke mich bei den zweien mindestens drei Mal dafür, dass sie mich hierher gebracht haben. DAS macht alles wett. Dieser Anblick macht mich mit offenem Mund ins Firmament starren und lässt mich die Anreise im Auto, die Flugreisen und die Säcke voll Geld, die mit alldem verbunden sind, die Genickstarre und die Moskitostiche, die ich mir gerade einfange und den gesamten Rest der Welt komplett vergessen. An Beschreibungen über den Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre und speziell aus dem nächtlichen Outback haben sich schon Scharen von sprachlich gewandteren Menschen als ich versucht und sind nach meinem Dafürhalten und persönlicher Betrachtung alle miteinander dabei gescheitert – ich werde also nicht den selben Fehler machen und lege stattdessen jedem der das liest dringend ans Herz: Kommt her und schaut es Euch selbst an.
Stunden nachdem die besagte Hardcore-Party-Animal-Fraktion unserer kleinen Reisegruppe schon längst ins Zelt und mithin ins Land der Träume entschwunden ist, sitze ich noch immer auf meinem Faltstuhl und starre in den Himmel. Später werfe ich vielleicht noch einmal das Netbook an und mache ein paar Notizen offline, denn wir sind hier nicht nur von WLAN-Access, sondern auch von Mobilfunknetzen und sogar stinknormalem Radioempfang vollkommen abgeschnitten. Diejenigen unter Euch, die mich ein bisschen kennen wird das vielleicht überraschen, aber das Abgeschnittensein stört mich nicht im Geringsten weder jetzt, noch in den kommenden Tagen im Outback.

*Dear Australian law enforcement officers, of course I know driving a car through your wonderful country without a valid drivers licence would surely match a harsh contravention. So please look at the following lines above as a product of my blooming imagination. It never really happened. In fact I have never left the balcony in cairns and have never been to the outback. Thanks for your time and your attention.

Montag, 6. September 2010

STEALING A LITTLE DAYLIGHT

Das Wetter hat in den vergangenen drei Tagen vor unserer Abreise ins
Outback in aller Deutlichkeit gezeigt, was es davon hält zu dieser Jahreszeit pauschal mit dem Begriff  'Trockenzeit' abgestempelt zu werden: „Trockenzeit?! ICH GEB' EUCH TROCKENZEIT, IHR KLEINEN...“, und sogleich alles, aber auch wirklich alles vom Himmel geschüttet, was es nur zu bieten hatte. Ich glaube, es hat dabei sogar wild mit Armen und Fäusten zornesentbrannt in der Luft herumfuchtelt, genau wie ein verbiesteter Rentner dem schon wieder der Ball von den missratenen Nachbarsblagen in den Vorgarten geflogen ist.
Als ich noch ein kleiner Junge war, lebte genau so ein Rentner im Haus nebenan. Der benutzte neben Armen und Fäusten allerdings noch einen Krückstock, um seiner Erbostheit sozusagen mit einer künstlichen Verlängerung etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Ich habe ihm als kleines Dankeschön dafür damals dicke, braune Matschbälle an die geweißtelte Hauswand geworfen.
Das Wetter im australischen Osten ist zwar alles andere als in Rente, jedoch noch um ein Vielfaches älter als mein früherer Nachbar und schon deshalb hielt es beim Herumfuchteln vermutlich sogar mehrere Krückstocke in beiden Händen. Ergebnis: An diesem und den folgenden Tagen kommt es zu schlimmsten Überschwemmungen entlang der gesamten Ostküste.
Zum Glück gab es in Cairns keine folgenreichen Überschwemmungen und mit Matschbällen hätte ich das Wetter wahrscheinlich ohnehin nur wenig beeindrucken können, also saß ich die meiste Zeit auf dem Balkon unter der Marquise und hörte dem alten Mann beim Wettern zu. Hätte es nicht so viel geregnet, hätte ich bestimmt auch nicht so viel Zeit zum Schreiben gehabt. Matschbälle können eben in den verschiedensten Formen daherkommen...


***
Wir brechen gegen Vormittag zu einer etwa zehn Stunden währenden Fahrt nach Richmond auf. Dazu müssen wir zunächst von Cairns aus in Luftlinie gemessen rund dreihundert Kilometer an der Küste entlang nach Süden fahren, um dann in Townsville (ein reichlich beknatterter Städtename) scharf nach Westen zu drehen und noch einmal ca. vierhundert Kilometer hinter uns zu bringen.
Den größten Teil der Fahrerei übernimmt Jack. Was das Fluchen über andere Autofahrer betrifft: Es beginnt sofort in Cairns. Ich weiß, diesen Punkt hatten wir bereits, ich muss allerdings heute erkennen, dass Jack diesbezüglich durchaus nicht vaginal fixiert ist, sondern für diesmal überwiegend aus dem Phallischen shöpft. In halbwegs neutralen Termini ausgedrückt bevölkern nunmehr also in seinen Augen eine ganze Menge Penisköpfe, kopulierende Penisse und Fellatiotreibende die Straßen und ich bin eigentlich ganz froh, die Welt in diesen Momenten nicht mit seinen Augen sehen zu müssen, denn es gibt darin nach meinem Empfinden eindeutig zu viele autofahrende Genitalien.

Nachdem wir die Stadtgrenzen von Townsville nach einer schnellen Pipi- und Zigarettenpause verlassen haben, führt der Highway für eine kurze Weile in südwestlicher Richtung und weist im Anschluss fast pfeilgeradeaus nach Westen – für Stunden und Aberstunden. Es gibt zwar in Abständen hin und wieder ein paar sanfte Kurven (oder eher Kürvchen), die aber um absolut nichts herumführen – keine Städte, keine Seen, keine Berge und ich frage mich wozu sie wohl gut sein mögen. Je weiter man landeinwärts kommt, desto steppenartiger wird die Landschaft. Die Bäume sind kleiner und dürrer und von nicht so viel üppigem Grün umgeben wie ihre verwöhnten Verwandten an der Küste. Wenn ich nicht wüsste, dass das hier Australien ist, könnte man mich ohne Schwierigkeiten davon überzeugen, dass es sich um eine südamerikanische oder afrikanische Steppe handelt, andererseits könnte man mich auch in Köln-Nippes aussetzen und mir erzählen, es handele sich um Köln-Ehrenfeld – soviel zu meinen Steppenkenntnissen.
In einiger Entfernung zum Highway rauschen gelegentlich Behausungen von Farmern an uns vorbei, denn diese Beinahewüste, mit ihren nach Wasser japsenden Grasinselchen ist tatsächlich zu großen Teilen Weideland. Früher einmal gab es wohl auch unendlich lange Weidezäune, aber mittlerweile hält man davon nicht mehr allzu viel, weshalb man als Automobilreisender auch auf dem Highway mitunter gezwungen ist, wegen der ein oder anderen Kuh am Fahrbahnrand, oder schlimmer gar, auf der Fahrbahn, ein bisschen auf die Bremse zu treten, es sei denn man möchte gerne Blitztartar und einen Totalschaden am Auto produzieren. Wahrscheinlich wegen der nach Wasser japsenden Grasinselchen und der auch ansonsten spärlichen Vegetation sehen die Kühe hier nicht ganz so wuchtig aus, wie ich das von deutschen Weiden kenne, sondern eher so als bräuchten sie ein Spendenkonto für die Weihnachtszeit und seitliche Stützräder für die ganz besonders harten Tage.
Während der gesamten Fahrt überqueren wir immer wieder kleine Flüsschen und Bäche (engl. 'Creeks'), die, völlig ungeachtet der für die Jahreszeit ungewöhlichen Überschwemmungen an der Küste des Landes, ausgetrocknet sind und über deren Namen kleine schwarz-weiße Straßenschilder Auskunft erteilen. Zumeist scheinen sich diese Namen an der Form des Flussbetts zu orientieren (Two Sausage Creek), womöglich aber auch an der hier angesiedelten Fauna (Cobra Creek), ein ganz besonderer Name jedoch gibt mir ein etwas größeres Rätsel auf: Buyabra Creek (KaufeeinenBüstenhalter Bach). Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer diesen Namen wann erfunden haben mag, ich würde aber nur zu gerne zwei Theorien anbieten, die zur komplett fehlgeleiteten Legendenbildung beitragen sollen.
Theorie 1: Die Besitzerin des Landes rund um den Creek machte sich mit zunehmendem Alter immer mehr Sorgen um ihr körpereigenes Bindegewebe und taufte das Flüsschen auf den Namen 'Buyabra', um sich selbst jedes Mal beim Anblick des Straßenschildes daran zu erinnern, dass das Leben Dich sogar dann (zumindest partiell) richtig blöd runterziehen kann, wenn Du doch eigentlich gar nichts falsch gemacht hast.
Theorie 2: Der Besitzer des Landes rund um den Creek machte sich mit zunehmendem Alter seiner Frau immer mehr Sorgen um ihr körpereigenes Bindegewebe und taufte das Flüsschen auf den Namen 'Buyabra', um sie jedes Mal beim Anblick des Straßenschildes daran zu erinnern, dass etwas auf ihrem Einkaufszettel fehlt. 
So sind sie nunmal, unsere australischen Freunde – straight forward and fair dinkum*.
Ein anderer Geschichtenverzapfer als ich würde an dieser Stelle vielleicht damit fortfahren, dass wir nach stundenlangem monotonen Surren der geländegängigen Reifen allmählich in die Dunkelheit führen und läge damit ziemlich daneben. Da wir in uns gerader Linie westwärts  bewegen – also entgegen der Erdrotation – flüchten wir gewissermaßen vor der Tag-Nachtgrenze mit den hier vorgeschriebenen 110 km/h. Über diese jämmerliche Geschwindigkeit kann die Erdrotation jedoch noch nicht einmal müde lächeln, denn ihr unsichtbarer Antrieb beschleunigt sie mit rund 1400 km/h, sodass nicht wir in die Dunkelheit hinein fahren, sondern die Tag-Nachtgrenze uns Flüchtlinge mit Überschallgeschwindigkeit einholt, über uns hinweg brettert und im Dunkel zurücklässt. Als ich diese Gedanken laut ausspreche (ich neige gelegentlich zum Laut-Vor-Mich-Hin-Denken), bemerkt Bianca scharfsinnig: "But that also means, that we are stealing a little daylight!" Durch unsere Reiserichtung haben wir tatsächlich noch ein Weilchen länger Tageslicht als die weiter östlich gelegenen Gebiete und also ist ihre Bemerkung nicht nur wahr, sondern auch so charmant formuliert, dass ich nicht umhin kann nun meinerseits von ihr zu stehlen, um eine Überschrift daraus zu machen stealing a little headline (so to speak).

***
Ein ungeduldiger Leser mag sich bei all der furchtbar umständlichen und nicht zum Punkt kommenden Erzählerei ein wenig nervös ins Ohrläppchen kneifen und dabei denken: "Gottverdammte Sauzucht! Müssen sie denn nicht bald mal irgendwo ankommen?!"
Ich verrate Dir jetzt mal was, mein lieber ungeduldiger Leser: Exakt den selben Gedanken hege ich auch, während ich mir hier im Geländewagen die Backen platt sitze. Also halt gefälligst die Füße still, denn exakt das selbe tue ich im Augenblick auch.

*fair dinkum ist ein typisch australischer Ausdruck und bedeutet in etwa 'aufrichtig' oder 'ernsthaft', '"ohne Mist"' aber auch 'ein gutes Stück Arbeit'. Es gibt ein paar etymologische Erklärungen für den Ausdruck, die aber allesamt unbelegt sind. Und warum sollte ich allein die ganze Arbeit machen? Ihr könnt ja auch mal ein bisschen googeln...